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Dienstag, 27. August 2013

Dostojewski - oder: DanTheHeartless und der Anti-Mensch



„Liebe Studenten,
geschätzte Kollegen,
verehrter Dekan der Technischen Universität Braunschweig,

es ist mir eine außerordentliche Ehre, heute hier stehen und sprechen zu dürfen. Verdient hätte es wahrlich ein anderer, mein hochgeachteter Kollege und wertvoller Freund Prof. Dr. Dan TheHeartless, der heute leider aus… ähem, gesundheitlichen Gründen nicht an der Festivität teilnehmen kann. Mir ist durchaus bewusst, dass ich auch nach meinem Vortrag in seinem Schatten stehen werde, doch ich werde mich bemühen, seinem Vorbilde gerecht zu werden. Glücklicherweise überließ mir Herr Prof. Dr. TheHeartless einige seiner Unterlagen zur Vorbereitung für diesen Vortrag, sodass ich mit Stolz verkünden darf, dass er trotz seiner physischen Abstinenz heute dennoch auf mentale Weise unter uns weilt, indem er meine Worte und somit unser aller Gedanken für die nächsten eineinhalb Stunden lenken und leiten wird.“
Pause. Räuspern. Gemurmel unter den Anwesenden. Der Professor beginnt seinen Vortrag:
„Die Realität… oder auch, Wirklichkeit, ist ein Mysterium, das dem Menschen bis in alle Zeit ein Rätsel sein wird. Wir alle haben eine Vorstellung von diesem Konstrukt, wir alle glauben, dass es eine Einheit, eine wahre, fassbare, erfahrbare Inkarnation der Realität gibt, einen Kern, der jedem vernunftbegabten Lebewesen zugänglich ist. Doch unterliegen wir gleichsam dem Gesetz der Perspektive und sind damit letztlich subjektiv wahrnehmende und subjektiv beurteilende Instanzen, die aus eben jenem Fluch der Perspektivgebundenheit nicht entrinnen können. Wir können uns zwar in andere Lebewesen, ja sogar in Gegenstände hineinversetzen und uns vorstellen, wie die Welt aus deren Lage ausschaut, doch Grundlage zur Bewertung der gewonnen Eindrücke dieser mentalen Reisen ist und kann auch immer nur das einem jedwedem Menschen innewohnende, ihm eigene Bewusstsein sein.“
Einer der anwesenden Gäste, Reihe 14, Platz 13, hebt die Hand.
„Äh… da ist schon die erste Wortmeldung, sehr schön. Ja, bitte.“
Der Gast steht auf, damit er besser gehört wird.
„Herr Professor. Mein Penis ist ganz steif und wund und ich habe sooooooo große Lust auf PommiPommes, weil PommiPommes die besten Pommes der Welt… außer Dostojewski, den mag meine Mama nicht, gutschi-gutschi, fick, fack, Fotze, Fötzelchen.“
Der Gast setzt sich wieder. Ein empörtes Raunen geht durch den Raum. Der Professor hebt die Hand und bittet schweigend um Ruhe. Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort.
„Das ist wirklich ein guter Einwand zu so früher Stunde. Wir werden im Verlaufe des Vortrags allerdings sehen, dass sich die platonische Idee nicht aufrechterhalten kann, da sie ebenfalls aus den gleichen subjektiven Bausteinen wie jede andere Erkenntnistheorie zusammengesetzt ist. Bitte haben Sie noch ein klein wenig Geduld, ich spreche Platon zu gegebener Zeit selbst noch einmal an.“
Die Gäste wirken verwirrt, leises Getuschel erfüllt den Raum.
„Ich weiß, wir besprechen hier ein aufwühlendes Thema, ich bitte Sie jedoch, den Lautstärkepegel etwas zu drosseln, damit ich in ungezwungenem Tonfall fortfahren kann. Vielen Dank.“
Der Professor sortiert seine Unterlagen und fährt dann mit ruhiger Stimme fort:
„So kommen wir aber zu dem Schluss, dass sich jeder Gedanke, der sich aus der Beobachtung der Umwelt, der Welt der Dinge, Farben und Formen, entwickelt, auf einen subjektiven Eindruck zurückführen lässt. Und da der Gedanke die Basis aller Sprachen darstellt, kann es demnach auch nur subjektive Sätze über das Phänomen Wirklichkeit geben. Eine objektive Debatte über die Eigenschaften der Realität ist demnach schlichtweg… unmöglich.“
Wieder eine Wortmeldung, diesmal eine ältere Dame in Reihe 8, Platz 2.
„Ähm, bitte keine Frage mehr zur platonischen Ideenlehre.“
Die Dame steht unbeholfen auf. Es dauert eine Weile bis sie bereit ist zu sprechen.
„Entschuldigen Sie, Herr äh… Popofax, Popofick? Äh… Ich wollte mich nicht einwuscheln. Äh… aber Sie haben doch sicher so einen kleinen süßen Buben, da, längs zwischen ihren saftigen… Mhh, lecker, also so eine leckere PommiPommes, ja, die würde ich jetzt nehmen und mir ganz, ganz, gaaaaanz tief da reinschieben, da unten, verstehen Sie… lecker, ah, ja, ganz tief rein da unten, mhh… Geht das? Ich meine… Wenn das der Dostojewski wüsste. Fotze, Fötzelchen.“
Ein Aufruhr bricht los. „Unerhört!“, rufen einige Gäste. Andere verlangen die sofortige Entfernung der alten Dame aus dem Hörsaal. Der Professor hebt erneut die Hand, seine Stirn liegt in tiefen Falten.
„Ich bitte Sie, seien Sie doch nicht so engstirnig meine Damen und Herren! Dürfte ich bitte um Ruhe bitten!“
Einer der Anwesenden wendet sich nun an den Professor.
„Das ist doch ein Streich, den Sie uns hier auftischen wollen, oder? Wo sind die Kameras! Ich habe keiner öffentlichen Übertragung zugestimmt, das ist gegen das Gesetz, was Sie hier veranstalten!“
Viele der Gäste stürmen zu den Türen, wollen den Hörsaal verlassen. Der Professor schüttelt fassungslos den Kopf. Als die Gäste die Türen erreichen, stellen sie fest, dass sie verriegelt sind.
„Lassen Sie uns sofort hier raus!“
„Ist da jemand!“
„Hilfe, wir wollen raus!“
Doch die Türen bleiben verschlossen.
„Meine Damen und Herren, seien Sie doch vernünftig! Mein Vortrag dauert doch nur noch eine Stunde, danach können Sie gehen. Die Sicherheitsleute sind vermutlich nur schnell einen Kaffee trinken, bitte seien Sie vernünftig und setzen sich wieder auf ihre Plätze.“
Es dauert eine Weile, bis die Gäste nach panischem Rütteln und Schlagen und Treten aufgeben und sich resigniert auf ihre Plätze zurückbegeben.
„Das wird ein Nachspiel haben!“
„Sie können uns nicht zwingen, bei diesem Spielchen hier mitzuspielen!“
Der Professor hebt nun beide Hände und streicht sich dann durch den sauber gestutzten grauen Bart.
„Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was hier los ist, meine verehrten Damen und Herren. Mir ist durchaus bewusst, dass sich einige hier im Saal lieber einen Vortrag von Herrn Prof. Dr. TheHeartless gewünscht hätten, aber nun müssen Sie sich wohl oder übel mit meiner Wenigkeit zufrieden geben. Ich weiß, dass mein Vortragstil nicht immer unterhaltsam ist und dass ich dieses nervöse Leiden habe, dieses Augenzwinkern, ich arbeite ja schon seit Jahren daran, aber ich bekomme es einfach nicht unter Kontrolle. Wenn sich so ein… Tick mal im Hirn eingenistet hat, denn kriegt man den da nur schwerlich wieder hinaus, glauben Sie mir, das ist keine schöne Sache. Ein Vortrag ist auch nach Jahren Erfahrung eine stressfördernde Angelegenheit, ich verlange nur ein wenig Aufmerksamkeit und Disziplin von Ihnen, ist das denn wirklich so schwer zu verstehen?“
Der Professor ist den Tränen nahe. Die Anwesenden schweigen entsetzt.
„Letzten Sommer… ist meine Frau… verschieden… wissen Sie…“
Schock im Saal.
„Hat sich das Leben genommen.“
Der Professor bricht auf dem Rednerpult zusammen und schluchzt und heult wie ein getretener Pudel.
„Alles nur wegen… wegen, diesem Halunken!“
Der Professor schlägt voller Wut auf das Pult.
„Ja, da schauen Sie blöd aus der Wäsche, nicht wahr? Ihr ach so toller Held, der werte Prof. Dr. Dan TheHeartless… dieses primitive, wollüstige Stück Schweinekot hat im Sommer 2012 meine Frau entehrt!“
Ein Aufschrei des Schocks geistert durch den Hörsaal. Viele der Anwesenden schütteln fassungslos die Köpfe, andere sitzen still wie vom Blitz getroffen auf ihren Stühlen und starren ins Leere.
„Ja, er hat sie geschändet, meine Rosemarie! Wie ein Stück Vieh hat er sie behandelt. Und das auch noch in meinem Büro! AUF MEINEM SCHREIBTISCH Gott verflucht noch eins!“
Der Professor weint wieder. Schleim läuft ihm aus der Nase und tropft auf die Ärmel seines Designer-Anzugs. Die anwesenden Gäste schweigen weiterhin verwirrt vor sich hin.
„Ich hab` sie so geliebt, meine Rosemarie… ROSEMARIE!!! ICH LIEBE DICH NOCH IMMER!!! Entehrt hat er sie, wie ein Tier, der geile Bock. Und als er… als er fertig war… da hat er… da hat er sie…“
Plötzlich ertönt eine Durchsage aus den Boxen an der Decke des Hörsaals:
„Liebe Ficker und Nicht-Ficker, geschätzte Pimmelzofen und Fotzenknechte, verehrter Dekan der Technischen Universität Braunschweig, hier spricht Dan TheHeartless, TheDarkestDarkness, euer gottgefickter Pseudo-Philosoph aus der Hölle. Ihr Leutchen seid mir schon ein verschissenes Pack. Was denkt ihr wohl, was hier gerade passiert? Ein Studentenstreich, eine Fernsehproduktion, „Verstehen-Sie-Spass“ vielleicht? Ihr seid so erbärmliche, hirnlose Fucker… Genauso wie ich ein erbärmlicher, hirnloser Fucker bin! Wir alle sind sinnlose DNA-Ansammlungen, wertlose Parasiten, die alles Leben aus der Lebendigkeit des Universums saugen! Wir wollen alles wissen, wir wollen alles verstehen, wir wollen und wir nehmen und wir saugen und saugen und ficken uns dabei noch gegenseitig zu Tode, damit wir uns vermehren und noch schneller, noch ergiebiger saugen können! Aber es gibt nichts zu verstehen! Es gibt kein Wissen und es gibt auch keinen Gott! Gott ist tot, ihr dummen, kleinen Menschenkinder! Wie sagte Nietzsche so schön: „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss!“ Ja, Recht hatte er, und auch er war ein alter erbärmlicher, hirnloser Fucker! Aber nicht der Übermensch muss her und an die Stelle der Loser treten, deren genetische Substanz zu 80% aus Angst und zu 20% aus Geilheit besteht, nein, ich rufe nicht nach dem Übermenschen! Ich rufe nach dem Anti-Menschen! Möge die Anti-Wirklichkeit endlich Realität werden! Für uns alle! Denn das ist, was Wirklichkeit ist! Nur was nicht-ist, ist wirklich! Leben, Denken, Reden, alles Hokuspokus, Zauber aus der Dose der Pandora! Wir alle müssen endlich aufwachen! Wir alle müssen endlich der Realität ins Auge sehen! Ich rufe nach dem Anti-Menschen! Möge er endlich zu uns kommen und uns Erlösung schenken!“
Ein dumpfer Schlag ist zu hören, hinter den Wänden des Saals scheint etwas in Bewegung gesetzt worden zu sein. Die Menschen in Hörsaal I geraten in Panik. Es wird heiß im Raum, so heiß, dass einige der Anwesenden zusammenbrechen und leblos auf den sich stetig aufheizenden Boden sacken. Der Professor liegt noch immer in seinen Armen versunken auf dem Rednerpult.
„Rosemarie…“, stammelt er immer zu. „Rosemarie… Rosemarie… Rosemarie… Rosemarie…“
Plötzlich schlagen Flammen aus den Lüftungschächten, die Menschen stürmen zu den Türen, weinen, schreien, schlagen um sich, brechen sich Knochen und beten zu ihrem Herrgott. Aus den Boxen an der Decke dröhnt Dan TheHeartless Stimme, der mit traurigem Vibrato das Lied des Todes singt:
„Tanze Samba mit mir! Samba, Samba die ganze Nacht! Tanze Samba mit mir! Weil die Samba uns glücklich macht. Liebe, Liebe, Liebelei. Morgen ist sie vielleicht vorbei. Tanze Samba mit mir! Samba, Samba die ganze Nacht. Aha aha, du bist so heiß wie ein Vulkan. Aha aha, und heut verbrenn` ich mich daran…“

Zur selben Zeit an einem anderen Ort tunkt gerade ein übergewichtiger Rentner eine PommiPommes in einen Becher mit Mayonnaise. Seine alten, faltigen Lippen ziert ein kreisrunder Fettring. Und ein Lächeln.
„Sehr, sehr jut…“, murmelt er vor sich hin. „Ich weiß gar nich´, was die Mutti gegen den alten Dostojewski hatte…“

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