U-Bahn-Station. Ich stehe an den Gleisen und blicke in
die endlose Schwärze des Tunnels. Es ist, als würde der Schacht meine Gedanken
aufsaugen. Der Lärm um mich herum, das ewige Gezeter der Menschen, alles wird
aufgesogen von der schwarzen Leere und zu Stille verarbeitet. Dort, im Dunkel,
herrscht ein friedliches Vakuum.
Frieden. Vakuum. Stille. Vakuum.
Ich blicke hinunter zu meinen Füßen. Wie immer habe ich
kurz vor der gelben Markierung Halt gemacht, der grelle Streifen, der sagt: „Pass
auf!“. Der sagt: „Übertritt mich nicht, wenn dir dein Leben lieb ist!“
Mein Leben ist mir lieb. Lieb und teuer. Unbezahlbar
teuer. Ich würde es niemals eintauschen. Für nichts. Für niemanden.
Was ist die Welt, wenn ich sie nicht erlebe? Nicht die
Welt macht mich lebendig, sondern mein Lebendig-Sein ist es erst, das aus dem
Nichts ein Etwas schafft. Galileo behauptet, die Erde drehe sich um die Sonne.
Was für ein Irrsinn.
Die Erde dreht sich um mich herum. Ich bin die Sonne!
Ohne mich herrscht Leere. Ohne mich...
Vakuum.
Der Gedanke an den Tod, das unweigerliche,
unausweichliche Ende meiner Existenz hat mir schon immer Übelkeit bereitet. Und
doch ist er da, ein ständiger Begleiter durch all die Augenblicke, die kommen
und gehen. Ein Zug fährt ein, nicht meine Linie.
Es ist nur ein Schritt…
Nur ein Schritt. Warum beherrschen mich diese Gedanken so
sehr?
Nur ein Schritt, das Quietschen der Notbremse, die
Schreie der Zuschauer, der kurze Moment des Aufpralls – Gliedmaßen wie Papier
durchschnitten, der Geschmack von Blut und… Leere. Das Ende der Welt. Die Sonne
erlischt.
Nur ein Schritt, ein langer Fall, Schwerelosigkeit, das
ungute Gefühl im Magen, keinen Boden mehr unter den Füßen zu spüren, dann –
wieder der Aufprall, das Zerbersten von Knochen, der Geschmack von Blut,
Schreie, dumpfes Entsetzen und… Leere. Nichts kreist mehr um Irgendetwas. Alles
ist still.
Vakuum.
Aber so ist es nicht, nicht wahr? Niemand ist zugleich
Mensch und Sonne, richtig? Wenn ich gehe, dreht sich alles wie gehabt um
Irgendetwas. Alles dreht sich weiter, Erde um Sonne, Menschen um Gedanken,
Gedanken um Augenblicke, kein luftleerer Raum. Alles atmet – und schreitet
voran, jedes Geschöpf seinem unweigerlichen, unausweichlichen Ende entgegen.
So ist es doch, oder?
Du kennst die Antworten.
Jetzt, meine Bahn fährt ein. Durch den langen, schwarzen
Tunnel wird sie mich sicher geleiten, nach Hause. Nach Hause.
Kein Schritt zu viel, kein Quietschen, kein Schreien,
kein Geschmack von Blut, alle Knochen heil.
Es ist nur ein U-Bahn-Schacht, nicht mehr. Nur ein
Tunnel, an dessen Ende Tageslicht auf uns wartet. Es ist nur ein Weg, einer von
vielen, auf dem wir reisen, von Augenblick zu Augenblick. Kein Vakuum, solange
wir atmen.
Alle Schritte - wohlbedacht.
So ist es doch, oder?
Du kennst die Antworten.