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Dienstag, 27. August 2013

Dostojewski - oder: DanTheHeartless und der Anti-Mensch



„Liebe Studenten,
geschätzte Kollegen,
verehrter Dekan der Technischen Universität Braunschweig,

es ist mir eine außerordentliche Ehre, heute hier stehen und sprechen zu dürfen. Verdient hätte es wahrlich ein anderer, mein hochgeachteter Kollege und wertvoller Freund Prof. Dr. Dan TheHeartless, der heute leider aus… ähem, gesundheitlichen Gründen nicht an der Festivität teilnehmen kann. Mir ist durchaus bewusst, dass ich auch nach meinem Vortrag in seinem Schatten stehen werde, doch ich werde mich bemühen, seinem Vorbilde gerecht zu werden. Glücklicherweise überließ mir Herr Prof. Dr. TheHeartless einige seiner Unterlagen zur Vorbereitung für diesen Vortrag, sodass ich mit Stolz verkünden darf, dass er trotz seiner physischen Abstinenz heute dennoch auf mentale Weise unter uns weilt, indem er meine Worte und somit unser aller Gedanken für die nächsten eineinhalb Stunden lenken und leiten wird.“
Pause. Räuspern. Gemurmel unter den Anwesenden. Der Professor beginnt seinen Vortrag:
„Die Realität… oder auch, Wirklichkeit, ist ein Mysterium, das dem Menschen bis in alle Zeit ein Rätsel sein wird. Wir alle haben eine Vorstellung von diesem Konstrukt, wir alle glauben, dass es eine Einheit, eine wahre, fassbare, erfahrbare Inkarnation der Realität gibt, einen Kern, der jedem vernunftbegabten Lebewesen zugänglich ist. Doch unterliegen wir gleichsam dem Gesetz der Perspektive und sind damit letztlich subjektiv wahrnehmende und subjektiv beurteilende Instanzen, die aus eben jenem Fluch der Perspektivgebundenheit nicht entrinnen können. Wir können uns zwar in andere Lebewesen, ja sogar in Gegenstände hineinversetzen und uns vorstellen, wie die Welt aus deren Lage ausschaut, doch Grundlage zur Bewertung der gewonnen Eindrücke dieser mentalen Reisen ist und kann auch immer nur das einem jedwedem Menschen innewohnende, ihm eigene Bewusstsein sein.“
Einer der anwesenden Gäste, Reihe 14, Platz 13, hebt die Hand.
„Äh… da ist schon die erste Wortmeldung, sehr schön. Ja, bitte.“
Der Gast steht auf, damit er besser gehört wird.
„Herr Professor. Mein Penis ist ganz steif und wund und ich habe sooooooo große Lust auf PommiPommes, weil PommiPommes die besten Pommes der Welt… außer Dostojewski, den mag meine Mama nicht, gutschi-gutschi, fick, fack, Fotze, Fötzelchen.“
Der Gast setzt sich wieder. Ein empörtes Raunen geht durch den Raum. Der Professor hebt die Hand und bittet schweigend um Ruhe. Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort.
„Das ist wirklich ein guter Einwand zu so früher Stunde. Wir werden im Verlaufe des Vortrags allerdings sehen, dass sich die platonische Idee nicht aufrechterhalten kann, da sie ebenfalls aus den gleichen subjektiven Bausteinen wie jede andere Erkenntnistheorie zusammengesetzt ist. Bitte haben Sie noch ein klein wenig Geduld, ich spreche Platon zu gegebener Zeit selbst noch einmal an.“
Die Gäste wirken verwirrt, leises Getuschel erfüllt den Raum.
„Ich weiß, wir besprechen hier ein aufwühlendes Thema, ich bitte Sie jedoch, den Lautstärkepegel etwas zu drosseln, damit ich in ungezwungenem Tonfall fortfahren kann. Vielen Dank.“
Der Professor sortiert seine Unterlagen und fährt dann mit ruhiger Stimme fort:
„So kommen wir aber zu dem Schluss, dass sich jeder Gedanke, der sich aus der Beobachtung der Umwelt, der Welt der Dinge, Farben und Formen, entwickelt, auf einen subjektiven Eindruck zurückführen lässt. Und da der Gedanke die Basis aller Sprachen darstellt, kann es demnach auch nur subjektive Sätze über das Phänomen Wirklichkeit geben. Eine objektive Debatte über die Eigenschaften der Realität ist demnach schlichtweg… unmöglich.“
Wieder eine Wortmeldung, diesmal eine ältere Dame in Reihe 8, Platz 2.
„Ähm, bitte keine Frage mehr zur platonischen Ideenlehre.“
Die Dame steht unbeholfen auf. Es dauert eine Weile bis sie bereit ist zu sprechen.
„Entschuldigen Sie, Herr äh… Popofax, Popofick? Äh… Ich wollte mich nicht einwuscheln. Äh… aber Sie haben doch sicher so einen kleinen süßen Buben, da, längs zwischen ihren saftigen… Mhh, lecker, also so eine leckere PommiPommes, ja, die würde ich jetzt nehmen und mir ganz, ganz, gaaaaanz tief da reinschieben, da unten, verstehen Sie… lecker, ah, ja, ganz tief rein da unten, mhh… Geht das? Ich meine… Wenn das der Dostojewski wüsste. Fotze, Fötzelchen.“
Ein Aufruhr bricht los. „Unerhört!“, rufen einige Gäste. Andere verlangen die sofortige Entfernung der alten Dame aus dem Hörsaal. Der Professor hebt erneut die Hand, seine Stirn liegt in tiefen Falten.
„Ich bitte Sie, seien Sie doch nicht so engstirnig meine Damen und Herren! Dürfte ich bitte um Ruhe bitten!“
Einer der Anwesenden wendet sich nun an den Professor.
„Das ist doch ein Streich, den Sie uns hier auftischen wollen, oder? Wo sind die Kameras! Ich habe keiner öffentlichen Übertragung zugestimmt, das ist gegen das Gesetz, was Sie hier veranstalten!“
Viele der Gäste stürmen zu den Türen, wollen den Hörsaal verlassen. Der Professor schüttelt fassungslos den Kopf. Als die Gäste die Türen erreichen, stellen sie fest, dass sie verriegelt sind.
„Lassen Sie uns sofort hier raus!“
„Ist da jemand!“
„Hilfe, wir wollen raus!“
Doch die Türen bleiben verschlossen.
„Meine Damen und Herren, seien Sie doch vernünftig! Mein Vortrag dauert doch nur noch eine Stunde, danach können Sie gehen. Die Sicherheitsleute sind vermutlich nur schnell einen Kaffee trinken, bitte seien Sie vernünftig und setzen sich wieder auf ihre Plätze.“
Es dauert eine Weile, bis die Gäste nach panischem Rütteln und Schlagen und Treten aufgeben und sich resigniert auf ihre Plätze zurückbegeben.
„Das wird ein Nachspiel haben!“
„Sie können uns nicht zwingen, bei diesem Spielchen hier mitzuspielen!“
Der Professor hebt nun beide Hände und streicht sich dann durch den sauber gestutzten grauen Bart.
„Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was hier los ist, meine verehrten Damen und Herren. Mir ist durchaus bewusst, dass sich einige hier im Saal lieber einen Vortrag von Herrn Prof. Dr. TheHeartless gewünscht hätten, aber nun müssen Sie sich wohl oder übel mit meiner Wenigkeit zufrieden geben. Ich weiß, dass mein Vortragstil nicht immer unterhaltsam ist und dass ich dieses nervöse Leiden habe, dieses Augenzwinkern, ich arbeite ja schon seit Jahren daran, aber ich bekomme es einfach nicht unter Kontrolle. Wenn sich so ein… Tick mal im Hirn eingenistet hat, denn kriegt man den da nur schwerlich wieder hinaus, glauben Sie mir, das ist keine schöne Sache. Ein Vortrag ist auch nach Jahren Erfahrung eine stressfördernde Angelegenheit, ich verlange nur ein wenig Aufmerksamkeit und Disziplin von Ihnen, ist das denn wirklich so schwer zu verstehen?“
Der Professor ist den Tränen nahe. Die Anwesenden schweigen entsetzt.
„Letzten Sommer… ist meine Frau… verschieden… wissen Sie…“
Schock im Saal.
„Hat sich das Leben genommen.“
Der Professor bricht auf dem Rednerpult zusammen und schluchzt und heult wie ein getretener Pudel.
„Alles nur wegen… wegen, diesem Halunken!“
Der Professor schlägt voller Wut auf das Pult.
„Ja, da schauen Sie blöd aus der Wäsche, nicht wahr? Ihr ach so toller Held, der werte Prof. Dr. Dan TheHeartless… dieses primitive, wollüstige Stück Schweinekot hat im Sommer 2012 meine Frau entehrt!“
Ein Aufschrei des Schocks geistert durch den Hörsaal. Viele der Anwesenden schütteln fassungslos die Köpfe, andere sitzen still wie vom Blitz getroffen auf ihren Stühlen und starren ins Leere.
„Ja, er hat sie geschändet, meine Rosemarie! Wie ein Stück Vieh hat er sie behandelt. Und das auch noch in meinem Büro! AUF MEINEM SCHREIBTISCH Gott verflucht noch eins!“
Der Professor weint wieder. Schleim läuft ihm aus der Nase und tropft auf die Ärmel seines Designer-Anzugs. Die anwesenden Gäste schweigen weiterhin verwirrt vor sich hin.
„Ich hab` sie so geliebt, meine Rosemarie… ROSEMARIE!!! ICH LIEBE DICH NOCH IMMER!!! Entehrt hat er sie, wie ein Tier, der geile Bock. Und als er… als er fertig war… da hat er… da hat er sie…“
Plötzlich ertönt eine Durchsage aus den Boxen an der Decke des Hörsaals:
„Liebe Ficker und Nicht-Ficker, geschätzte Pimmelzofen und Fotzenknechte, verehrter Dekan der Technischen Universität Braunschweig, hier spricht Dan TheHeartless, TheDarkestDarkness, euer gottgefickter Pseudo-Philosoph aus der Hölle. Ihr Leutchen seid mir schon ein verschissenes Pack. Was denkt ihr wohl, was hier gerade passiert? Ein Studentenstreich, eine Fernsehproduktion, „Verstehen-Sie-Spass“ vielleicht? Ihr seid so erbärmliche, hirnlose Fucker… Genauso wie ich ein erbärmlicher, hirnloser Fucker bin! Wir alle sind sinnlose DNA-Ansammlungen, wertlose Parasiten, die alles Leben aus der Lebendigkeit des Universums saugen! Wir wollen alles wissen, wir wollen alles verstehen, wir wollen und wir nehmen und wir saugen und saugen und ficken uns dabei noch gegenseitig zu Tode, damit wir uns vermehren und noch schneller, noch ergiebiger saugen können! Aber es gibt nichts zu verstehen! Es gibt kein Wissen und es gibt auch keinen Gott! Gott ist tot, ihr dummen, kleinen Menschenkinder! Wie sagte Nietzsche so schön: „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss!“ Ja, Recht hatte er, und auch er war ein alter erbärmlicher, hirnloser Fucker! Aber nicht der Übermensch muss her und an die Stelle der Loser treten, deren genetische Substanz zu 80% aus Angst und zu 20% aus Geilheit besteht, nein, ich rufe nicht nach dem Übermenschen! Ich rufe nach dem Anti-Menschen! Möge die Anti-Wirklichkeit endlich Realität werden! Für uns alle! Denn das ist, was Wirklichkeit ist! Nur was nicht-ist, ist wirklich! Leben, Denken, Reden, alles Hokuspokus, Zauber aus der Dose der Pandora! Wir alle müssen endlich aufwachen! Wir alle müssen endlich der Realität ins Auge sehen! Ich rufe nach dem Anti-Menschen! Möge er endlich zu uns kommen und uns Erlösung schenken!“
Ein dumpfer Schlag ist zu hören, hinter den Wänden des Saals scheint etwas in Bewegung gesetzt worden zu sein. Die Menschen in Hörsaal I geraten in Panik. Es wird heiß im Raum, so heiß, dass einige der Anwesenden zusammenbrechen und leblos auf den sich stetig aufheizenden Boden sacken. Der Professor liegt noch immer in seinen Armen versunken auf dem Rednerpult.
„Rosemarie…“, stammelt er immer zu. „Rosemarie… Rosemarie… Rosemarie… Rosemarie…“
Plötzlich schlagen Flammen aus den Lüftungschächten, die Menschen stürmen zu den Türen, weinen, schreien, schlagen um sich, brechen sich Knochen und beten zu ihrem Herrgott. Aus den Boxen an der Decke dröhnt Dan TheHeartless Stimme, der mit traurigem Vibrato das Lied des Todes singt:
„Tanze Samba mit mir! Samba, Samba die ganze Nacht! Tanze Samba mit mir! Weil die Samba uns glücklich macht. Liebe, Liebe, Liebelei. Morgen ist sie vielleicht vorbei. Tanze Samba mit mir! Samba, Samba die ganze Nacht. Aha aha, du bist so heiß wie ein Vulkan. Aha aha, und heut verbrenn` ich mich daran…“

Zur selben Zeit an einem anderen Ort tunkt gerade ein übergewichtiger Rentner eine PommiPommes in einen Becher mit Mayonnaise. Seine alten, faltigen Lippen ziert ein kreisrunder Fettring. Und ein Lächeln.
„Sehr, sehr jut…“, murmelt er vor sich hin. „Ich weiß gar nich´, was die Mutti gegen den alten Dostojewski hatte…“

Dienstag, 20. August 2013

Lithium


„Dir geht’s auf jeden Fall wieder besser, das merkt man gleich.“, sagt Jenny. Sie sagt es beiläufig, ihr Blick ist fahrig, sie ist schon längst nicht mehr bei der Sache. Ihr Freund, der neben ihr sitzt, streicht ihr durch das dünne, blonde Haar und wirft mir einen mahnenden Blick zu. Ich ignoriere ihn und antworte, auf die Gefahr hin, dass mir bereits niemand mehr zu hört: „Ja, schon. Mir geht’s blendend zurzeit. Alles top.“
Jenny wendet sich mir wieder zu, langsam, nachdem sie ihre Analyse der Gesprächsthemen, die in der Runde vorherrschen, beendet hat. Jetzt blickt sie mich an, dann lächelt sie künstlich, unsicher und sagt: „Schön, das freut mich wirklich.“
Das war`s, wir sitzen eine Weile schweigend da, starren durch die Kneipe, hören den anderen beim Reden zu. Lars und Ben schwafeln über Kinofilme, Mary und Klaus diskutieren über irgendeinen Zeitungsartikel, in dem es um ungeklärte genetische Expression geht, Norman, Alas und seit einigen Minuten auch Jennys Freund verlieren sich in einer musiktheoretischen Diskussion über die Synkope in mittelalterlicher Komposition. Nur Jenny und ich sitzen schweigend da, nippen an unseren Longdrinks und langweilen uns zu Tode.
Jenny beschließt, dass es angenehmer ist, das Gespräch von eben wieder aufzuwärmen, als unbeachtet durch das Lokal zu glotzen und stellt mir folgende Frage:
„Wie… äh… bist du denn da letztendlich rausgekommen? Äh… aus dem Teufelskreis, äh… ich meine… warst du beim Psychiater oder so…?“
Die alte Leier, denke ich, lasse mir aber nichts anmerken und tue so, als wäre das eine ganz grandiose tolle Frage, auf die ich mein ganzes Leben lang gewartet habe. Ich lächle, nicke, und antworte mit ruhiger Stimme: „Ja, meine Psychiaterin hat mir schon extrem geholfen. Hat gut getan, mal alles auszusprechen, den Gedanken Raum zu geben, verstehst du? War `ne tolle Erfahrung, ich hab mich selbst ein Stück weit besser kennengelernt, kann ich nur wärmstens empfehlen.“
„Schön. Das freut mich.“, sagt Jenny wieder. „Hört man ja von vielen, dass es denen nach der Therapie viel besser geht und so.“
Ich nicke. „Ja, das stimmt. Ist einfach ungemein befreiend so was.“
„Wie lang ging die denn, die Therapie?“, will Jenny wissen. Ich nehme einen tiefen Schluck von meinem Black Death und antworte lapidar:
„Ach, war eigentlich nur einmal da.“ Ich gebe Jenny Zeit, damit sie so tun kann, als sei sie überrascht und füge dann hinzu: „Mehr war auch nicht nötig, ehrlich gesagt. Außerdem: Die Kosten…“
„Das muss aber ein intensives Gespräch gewesen sein.“, konstatiert Jenny betont fachmännisch. „Normalerweise lösen sich solche… Probleme ja nicht nach einer einzigen Sitzung auf, ich meine… äh…“
„Ja, schon.“, komme ich meiner jetzt deutlich verunsicherten Gesprächspartnerin zu Hilfe. „Aber in meinem Fall hat es dann doch ziemlich gut hingehauen. War nur ´ne 60-Minuten-Sitzung. Jetzt geht’s mir top. Einfach nur top sag ich dir!“
Jenny blickt mich zweifelnd an. Ihre Mundwinkel zucken, ihr Hirn versucht, einen Satz aus diversen verbalen Optionen zusammenzusetzen, doch es kommt nichts Brauchbares hervor. Sie lächelt stattdessen und nutzt die gewohnte Copy-Paste-Funktion indem sie erneut „Schön, das freut mich sehr.“ antwortet. Sie will es dabei beruhen lassen und wendet sich wieder der Gruppe zu, in der Hoffnung, dass sich die Themenlage mittlerweile geändert hat und sie sich irgendwo einklinken kann.
Ich greife in meine Jackentasche, hole die kleine Plastikdose hervor und stelle sie vor Jenny auf den Tisch. Ich warte auf ihre Reaktion, sie starrt die Dose an, dann mich, dann wieder die Dose, dann wieder mich, daraufhin lächelt sie, aber als sie sieht, dass ich nicht lächle, hört sie auf damit und öffnet den Mund um etwas zu sagen, sagt aber nichts, schaut wieder die Dose an - Lithium steht da mit roten Lettern auf einem grellweißen Etikett - dann mich und wieder die Dose. Schließlich schüttelt sie irritiert den Kopf. Ich lächle kurz, stecke die Dose wieder ein und schreie so laut ich kann:
„Du verschissene, oberflächliche Pissfotze!“
Alle Gespräche im Lokal verstummen. Nur die grauenhafte Rock-Musik dröhnt weiter blechern aus den billigen Boxen. Jennys langweiliges Gesicht ist bleich wie mit Puder bestrichen. Ich fahre fort:
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass sich nach einer verfickten 60-minütigen Sitzung bei meiner Vorstadthure von Psychiaterin eine bipolare, manisch-depressive Störung in Luft auflöst, oder? Schön, das freut mich aber! SCHÖN, DASS FREUT MICH ABER!!! Am Arsch freut dich das! Du weißt doch gar nicht was das ist – Freude! Mit deiner zugenähten Möse und deinem scheißhässlichen Grinsen ist doch das höchste der Gefühle ein Latte Macchiato mit Extra-Schaum nach einer ausgiebigen Lektüre der neuen Glamour auf dem Scheißhaus, du herzloses, flachbrüstiges, jungfräuliches Exempel für DNA-Verschwendung! Wenn ich…“
Weiter komme ich nicht, denn Jennys Freund steht plötzlich abrupt auf und schlägt mir mit der Faust ins Gesicht, sodass ich vom Stuhl falle, mit dem Gesicht auf den nassen, klebrigen Boden der Kneipe. Er schreit mich an, aber durch den Sturz bin ich benebelt, sehe nur verschwommene Umrisse und alle Geräusche verschwimmen zu einem einzigen undurchdringlichen Brei. Ich versuche mich aufzurichten, spüre wieder etwas Hartes, Unnachgiebiges in mein Gesicht rasen, dann ist plötzlich alles dunkel und still.

Ich erwache, es ist 4:29 Uhr. Das Schlafzimmer ist dunkel, meine Freundin schnarcht neben mir vor sich hin.
Alles nur ein Traum, denke ich. Alles nur ein Traum.
Ich stehe auf und gehe ins Bad. Das Licht blendet mich, es ist steril und kalt. Ich blicke mich im Spiegel an, meine müden Augen, mein verschlafenes Gesicht. Ich leere meine Blase, wasche mein Gesicht und öffne den Badezimmer-Schrank. Die Dose mit den roten Lettern steht da, wo sie immer steht. Ich schließe den Schrank wieder und gehe in die Küche, mache mir einen Kaffee. Die Vögel zwitschern schon, doch draußen herrscht noch klamme Dunkelheit. Auf dem Küchentisch liegt ein Zettel. Mit den schönen, etwas übertrieben verschnörkelten Buchstaben, die den sehnigen Fingern meiner Freundin entflossen sind, steht da: „DUH – BIH – JOS!“, gefolgt von einem deformierten Mutanten-Smily.
Ich schiebe den Zettel von mir weg und stelle mir vor, wo sie gestern Abend gewesen ist. Ich kann mich nicht erinnern, sie nach Hause kommen gehört zu haben. Auf der Küchenzeile steht eine halbvolle Flasche Mixery, im Aschenbecher liegt eine halbgerauchte Pall Mall.
Ich grüble eine Weile vor mich hin, denke daran, wie merkwürdig die Existenz doch ist, das Jetzt, das Hier, Gegenwart. Jedes Wort besteht aus verschiedenen Lauten, die nur in Verbindung, im seichten Fluss der Zeit Sinn ergeben. Im Hier und Jetzt kann es nur einen Laut geben. Es kann nur ein Geräusch zur selben Zeit produziert werden. Worte und somit Gedanken bestehen aber aus mehreren Lauten. Wir können also nur Sinn aus dem Gesprochenen ziehen, wenn wir aus der Warte der Zukunft heraus die Vergangenheit analysieren.
Ich betrachte den Kippenstummel eine Weile und vergesse die Existenz. Dann stehe ich auf und trinke die halbe Flasche Mixery in einem Zug leer. Ich gehe zum Kühlschrank und nehme mir ein Bier. Auch dieses trinke ich in einem Zug leer. Ich öffne die Balkontür und trete ins Freie. Auf dem kleinen runden Tisch entdecke ich ihr Portemonnaie. Es ist noch ein Zehner drin, ein paar Münzen. Ich betrachte den Zehner im fahlen Licht der Küchenlampe, das nach draußen strömt. Ich rieche an dem Schein, dann esse ich ihn auf.
Ich gehe zum Kühlschrank, nehme noch ein Bier. Noch zwei da. Ich trinke das Bier in einem Zug, nehme noch eins, trinke es in einem Zug, nehme das Letzte, trinke es aus und schmeiße die leere Flasche vom Balkon in den Garten.
Dann lösche ich das Licht, gehe ins Schlafzimmer zurück zu meiner betrunkenen Freundin, die in purem Seelenfrieden vor sich hin grunzt, kuschele mich an ihren warmen, nach Alkohol duftenden Körper und sage ihr, dass ich sie liebe, was gelogen ist. Mit einem Lächeln schlafe ich schließlich ein. Für den Rest der Nacht sind meine Träume leer. Muss wohl am Bier liegen.

Dienstag, 13. August 2013

Samba Olé!

Ziellos irre ich umher, dunkler Wald und die Schatten der Nacht umgeben meinen verlorenen Leib. Es ist kalt, ich bin einsam, alles Getier ist tot, leblos verwest das Fleisch unter dem klammen, blutdurchtränkten Laub. Ich stolpere über eine Wurzel, der schwarze Arm eines ewig trauernden Giganten. Müde blickt der dunkle Baum auf mich nieder. Ich fühle mich klein und unbedeutend, die Ewigkeit ist unermesslich, mein kurzes Dasein nur ein Augenblick im Weltentreiben. Dann entdecke ich die Inschrift, die in seine Rinde geritzt ist. Eine Nachricht aus den Tiefen der Vergangenheit, als die Erde sich noch drehte und das Universum voller Tatendrang war. Ich richte mich auf und betrachte die Buchstaben, feine Linien, sanft schimmernd im fahlen Licht des sterbenden Mondes. Ein Lächeln ergreift Besitz von meinem zerfurchten Gesicht. Mein Herz schlägt wild und Erinnerungen an das alte Leben strömen auf mich ein. Meine mit Blut und Erde befleckten Finger streichen über die Linien, die Worte längst vergessener Stunden und mit Tränen in den Augen beginne ich schließlich, die Inschrift zu lesen:

Zwei Jahre schon
sind wir zu zweit
du tust alles für mich
und ich für dich


wir lieben uns
wir trösten uns
wir küssen uns
wir kennen uns

 

doch etwas fehlt
das spürst du auch
der wahre Kern

bleibt uns verwehrt

wer bist du wirklich?
wer bin ich?
ich kenne dich nicht
weder dich noch mich


also folge ich den Fäden
die an deiner Seele hängen
zu den Fingern des Spielers
der dich führt und lieben lässt


und dann folge ich den Fäden
die an meiner Seele hängen
zu den Fingern des Teufels
der mich lenkt und fragen lässt


wir lieben uns
doch nicht im Kern
wir trösten uns
doch nur für uns selbst


wir küssen uns
weil sie es wollen
wir kennen uns
doch nicht genug


nie mehr will ich den Fäden folgen
das Puppenspiel soll fortan mein Leben sein
nur Dämonen und Teufel warten dort
am Ende der Fäden
die unsere Seelen lenken


Plötzlich durchschneiden grelle Blitze das schwarze Firmament, die Erde bebt und Risse tun sich auf. Züngelnde Höllenflammen schlagen hervor, gierig nach Zerstörung, lüstern nach Vereinigung. Es treibt mich hinein in das Licht und die Wärme, das Feuer zersetzt meine Moleküle zu Asche. Ich genieße die Pein, das Ende, den Abschied, den Tod. Dann ist da nichts mehr, kein Wald, kein Laub, keine Dunkelheit. Kein Licht am Ende des Tunnels. Nur wohlige, vertraute Anti-Existenz, das Woher und Wohin allen Seins. Es kümmert mich nicht, ob die Flammen weiter gezogen sind. Es kümmert mich nicht, wer ich war und warum das Alles und Wofür. Das Universum ist mir gleich. In meiner Seele herrscht endlich Frieden. Frieden und ein unglaublich fetziger Song: 

Tanze Samba mit mir!
Samba, Samba die ganze Nacht.
Tanze Samba mit mir!
Weil die Samba uns glücklich macht.
Liebe, Liebe, Liebelei.
Morgen ist sie vielleicht vorbei.
Tanze Samba mit mir!
Samba, Samba die ganze Nacht.
Aha aha, du bist so heiß wie ein Vulkan.
Aha aha, und heut verbrenn` ich mich daran. 

Samba! Olé!