„Liebe
Studenten,
geschätzte
Kollegen,
verehrter
Dekan der Technischen Universität Braunschweig,
es
ist mir eine außerordentliche Ehre, heute hier stehen und sprechen zu dürfen.
Verdient hätte es wahrlich ein anderer, mein hochgeachteter Kollege und wertvoller
Freund Prof. Dr. Dan TheHeartless, der heute leider aus… ähem, gesundheitlichen
Gründen nicht an der Festivität teilnehmen kann. Mir ist durchaus bewusst, dass
ich auch nach meinem Vortrag in seinem Schatten stehen werde, doch ich werde
mich bemühen, seinem Vorbilde gerecht zu werden. Glücklicherweise überließ mir
Herr Prof. Dr. TheHeartless einige seiner Unterlagen zur Vorbereitung für diesen
Vortrag, sodass ich mit Stolz verkünden darf, dass er trotz seiner physischen
Abstinenz heute dennoch auf mentale Weise unter uns weilt, indem er meine Worte
und somit unser aller Gedanken für die nächsten eineinhalb Stunden lenken und
leiten wird.“
Pause. Räuspern.
Gemurmel unter den Anwesenden. Der Professor beginnt seinen Vortrag:
„Die
Realität… oder auch, Wirklichkeit, ist ein Mysterium, das dem Menschen bis in
alle Zeit ein Rätsel sein wird. Wir alle haben eine Vorstellung von diesem
Konstrukt, wir alle glauben, dass es eine Einheit, eine wahre, fassbare,
erfahrbare Inkarnation der Realität gibt, einen Kern, der jedem
vernunftbegabten Lebewesen zugänglich ist. Doch unterliegen wir gleichsam dem Gesetz
der Perspektive und sind damit letztlich subjektiv wahrnehmende und subjektiv
beurteilende Instanzen, die aus eben jenem Fluch der Perspektivgebundenheit
nicht entrinnen können. Wir können uns zwar in andere Lebewesen, ja sogar in
Gegenstände hineinversetzen und uns vorstellen, wie die Welt aus deren Lage
ausschaut, doch Grundlage zur Bewertung der gewonnen Eindrücke dieser mentalen
Reisen ist und kann auch immer nur das einem jedwedem Menschen innewohnende,
ihm eigene Bewusstsein sein.“
Einer der anwesenden
Gäste, Reihe 14, Platz 13, hebt die Hand.
„Äh…
da ist schon die erste Wortmeldung, sehr schön. Ja, bitte.“
Der Gast steht auf,
damit er besser gehört wird.
„Herr
Professor. Mein Penis ist ganz steif und wund und ich habe sooooooo große Lust
auf PommiPommes, weil PommiPommes die besten Pommes der Welt… außer Dostojewski,
den mag meine Mama nicht, gutschi-gutschi, fick, fack, Fotze, Fötzelchen.“
Der Gast setzt sich
wieder. Ein empörtes Raunen geht durch den Raum. Der Professor hebt die Hand
und bittet schweigend um Ruhe. Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort.
„Das
ist wirklich ein guter Einwand zu so früher Stunde. Wir werden im Verlaufe des
Vortrags allerdings sehen, dass sich die platonische Idee nicht
aufrechterhalten kann, da sie ebenfalls aus den gleichen subjektiven Bausteinen
wie jede andere Erkenntnistheorie zusammengesetzt ist. Bitte haben Sie noch ein
klein wenig Geduld, ich spreche Platon zu gegebener Zeit selbst noch einmal
an.“
Die Gäste wirken
verwirrt, leises Getuschel erfüllt den Raum.
„Ich
weiß, wir besprechen hier ein aufwühlendes Thema, ich bitte Sie jedoch, den
Lautstärkepegel etwas zu drosseln, damit ich in ungezwungenem Tonfall
fortfahren kann. Vielen Dank.“
Der Professor sortiert
seine Unterlagen und fährt dann mit ruhiger Stimme fort:
„So
kommen wir aber zu dem Schluss, dass sich jeder Gedanke, der sich aus der
Beobachtung der Umwelt, der Welt der Dinge, Farben und Formen, entwickelt, auf
einen subjektiven Eindruck zurückführen lässt. Und da der Gedanke die Basis
aller Sprachen darstellt, kann es demnach auch nur subjektive Sätze über das
Phänomen Wirklichkeit geben. Eine objektive Debatte über die Eigenschaften der
Realität ist demnach schlichtweg… unmöglich.“
Wieder eine
Wortmeldung, diesmal eine ältere Dame in Reihe 8, Platz 2.
„Ähm,
bitte keine Frage mehr zur platonischen Ideenlehre.“
Die Dame steht
unbeholfen auf. Es dauert eine Weile bis sie bereit ist zu sprechen.
„Entschuldigen
Sie, Herr äh… Popofax, Popofick? Äh… Ich wollte mich nicht einwuscheln. Äh…
aber Sie haben doch sicher so einen kleinen süßen Buben, da, längs zwischen
ihren saftigen… Mhh, lecker, also so eine leckere PommiPommes, ja, die würde
ich jetzt nehmen und mir ganz, ganz, gaaaaanz tief da reinschieben, da unten,
verstehen Sie… lecker, ah, ja, ganz tief rein da unten, mhh… Geht das? Ich
meine… Wenn das der Dostojewski wüsste. Fotze, Fötzelchen.“
Ein Aufruhr bricht los.
„Unerhört!“, rufen einige Gäste. Andere verlangen die sofortige Entfernung der
alten Dame aus dem Hörsaal. Der Professor hebt erneut die Hand, seine Stirn
liegt in tiefen Falten.
„Ich
bitte Sie, seien Sie doch nicht so engstirnig meine Damen und Herren! Dürfte
ich bitte um Ruhe bitten!“
Einer der Anwesenden
wendet sich nun an den Professor.
„Das
ist doch ein Streich, den Sie uns hier auftischen wollen, oder? Wo sind die
Kameras! Ich habe keiner öffentlichen Übertragung zugestimmt, das ist gegen das
Gesetz, was Sie hier veranstalten!“
Viele der Gäste stürmen
zu den Türen, wollen den Hörsaal verlassen. Der Professor schüttelt fassungslos
den Kopf. Als die Gäste die Türen erreichen, stellen sie fest, dass sie
verriegelt sind.
„Lassen
Sie uns sofort hier raus!“
„Ist
da jemand!“
„Hilfe,
wir wollen raus!“
Doch die Türen bleiben
verschlossen.
„Meine
Damen und Herren, seien Sie doch vernünftig! Mein Vortrag dauert doch nur noch
eine Stunde, danach können Sie gehen. Die Sicherheitsleute sind vermutlich nur
schnell einen Kaffee trinken, bitte seien Sie vernünftig und setzen sich wieder
auf ihre Plätze.“
Es dauert eine Weile,
bis die Gäste nach panischem Rütteln und Schlagen und Treten aufgeben und sich
resigniert auf ihre Plätze zurückbegeben.
„Das
wird ein Nachspiel haben!“
„Sie
können uns nicht zwingen, bei diesem Spielchen hier mitzuspielen!“
Der Professor hebt nun
beide Hände und streicht sich dann durch den sauber gestutzten grauen Bart.
„Ich
verstehe ehrlich gesagt nicht, was hier los ist, meine verehrten Damen und
Herren. Mir ist durchaus bewusst, dass sich einige hier im Saal lieber einen
Vortrag von Herrn Prof. Dr. TheHeartless gewünscht hätten, aber nun müssen Sie
sich wohl oder übel mit meiner Wenigkeit zufrieden geben. Ich weiß, dass mein
Vortragstil nicht immer unterhaltsam ist und dass ich dieses nervöse Leiden
habe, dieses Augenzwinkern, ich arbeite ja schon seit Jahren daran, aber ich
bekomme es einfach nicht unter Kontrolle. Wenn sich so ein… Tick mal im Hirn
eingenistet hat, denn kriegt man den da nur schwerlich wieder hinaus, glauben
Sie mir, das ist keine schöne Sache. Ein Vortrag ist auch nach Jahren Erfahrung
eine stressfördernde Angelegenheit, ich verlange nur ein wenig Aufmerksamkeit
und Disziplin von Ihnen, ist das denn wirklich so schwer zu verstehen?“
Der Professor ist den
Tränen nahe. Die Anwesenden schweigen entsetzt.
„Letzten
Sommer… ist meine Frau… verschieden… wissen Sie…“
Schock im Saal.
„Hat
sich das Leben genommen.“
Der Professor bricht
auf dem Rednerpult zusammen und schluchzt und heult wie ein getretener Pudel.
„Alles
nur wegen… wegen, diesem Halunken!“
Der Professor schlägt
voller Wut auf das Pult.
„Ja,
da schauen Sie blöd aus der Wäsche, nicht wahr? Ihr ach so toller Held, der
werte Prof. Dr. Dan TheHeartless… dieses primitive, wollüstige Stück
Schweinekot hat im Sommer 2012 meine Frau entehrt!“
Ein Aufschrei des
Schocks geistert durch den Hörsaal. Viele der Anwesenden schütteln fassungslos
die Köpfe, andere sitzen still wie vom Blitz getroffen auf ihren Stühlen und
starren ins Leere.
„Ja,
er hat sie geschändet, meine Rosemarie! Wie ein Stück Vieh hat er sie
behandelt. Und das auch noch in meinem Büro! AUF MEINEM SCHREIBTISCH Gott
verflucht noch eins!“
Der Professor weint
wieder. Schleim läuft ihm aus der Nase und tropft auf die Ärmel seines
Designer-Anzugs. Die anwesenden Gäste schweigen weiterhin verwirrt vor sich
hin.
„Ich
hab` sie so geliebt, meine Rosemarie… ROSEMARIE!!! ICH LIEBE DICH NOCH IMMER!!!
Entehrt hat er sie, wie ein Tier, der geile Bock. Und als er… als er fertig
war… da hat er… da hat er sie…“
Plötzlich ertönt eine
Durchsage aus den Boxen an der Decke des Hörsaals:
„Liebe
Ficker und Nicht-Ficker, geschätzte Pimmelzofen und Fotzenknechte, verehrter
Dekan der Technischen Universität Braunschweig, hier spricht Dan TheHeartless, TheDarkestDarkness,
euer gottgefickter Pseudo-Philosoph aus der Hölle. Ihr Leutchen seid mir schon
ein verschissenes Pack. Was denkt ihr wohl, was hier gerade passiert? Ein
Studentenstreich, eine Fernsehproduktion, „Verstehen-Sie-Spass“ vielleicht? Ihr
seid so erbärmliche, hirnlose Fucker… Genauso wie ich ein erbärmlicher,
hirnloser Fucker bin! Wir alle sind sinnlose DNA-Ansammlungen, wertlose
Parasiten, die alles Leben aus der Lebendigkeit des Universums saugen! Wir
wollen alles wissen, wir wollen alles verstehen, wir wollen und wir nehmen und
wir saugen und saugen und ficken uns dabei noch gegenseitig zu Tode, damit wir
uns vermehren und noch schneller, noch ergiebiger saugen können! Aber es gibt
nichts zu verstehen! Es gibt kein Wissen und es gibt auch keinen Gott! Gott ist
tot, ihr dummen, kleinen Menschenkinder! Wie sagte Nietzsche so schön: „Der
Mensch ist etwas, das überwunden werden muss!“ Ja, Recht hatte er, und auch er
war ein alter erbärmlicher, hirnloser Fucker! Aber nicht der Übermensch muss
her und an die Stelle der Loser treten, deren genetische Substanz zu 80% aus
Angst und zu 20% aus Geilheit besteht, nein, ich rufe nicht nach dem
Übermenschen! Ich rufe nach dem Anti-Menschen! Möge die Anti-Wirklichkeit
endlich Realität werden! Für uns alle! Denn das ist, was Wirklichkeit ist! Nur
was nicht-ist, ist wirklich! Leben, Denken, Reden, alles Hokuspokus, Zauber aus
der Dose der Pandora! Wir alle müssen endlich aufwachen! Wir alle müssen
endlich der Realität ins Auge sehen! Ich rufe nach dem Anti-Menschen! Möge er
endlich zu uns kommen und uns Erlösung schenken!“
Ein dumpfer Schlag ist
zu hören, hinter den Wänden des Saals scheint etwas in Bewegung gesetzt worden
zu sein. Die Menschen in Hörsaal I geraten in Panik. Es wird heiß im Raum, so
heiß, dass einige der Anwesenden zusammenbrechen und leblos auf den sich stetig
aufheizenden Boden sacken. Der Professor liegt noch immer in seinen Armen
versunken auf dem Rednerpult.
„Rosemarie…“,
stammelt er immer zu. „Rosemarie…
Rosemarie… Rosemarie… Rosemarie…“
Plötzlich schlagen
Flammen aus den Lüftungschächten, die Menschen stürmen zu den Türen, weinen,
schreien, schlagen um sich, brechen sich Knochen und beten zu ihrem Herrgott.
Aus den Boxen an der Decke dröhnt Dan TheHeartless Stimme, der mit traurigem
Vibrato das Lied des Todes singt:
„Tanze
Samba mit mir! Samba, Samba die ganze Nacht!
Tanze Samba
mit mir! Weil die
Samba uns glücklich macht.
Liebe,
Liebe, Liebelei.
Morgen ist
sie vielleicht vorbei.
Tanze Samba
mit mir! Samba, Samba
die ganze Nacht.
Aha aha, du
bist so heiß wie ein Vulkan.
Aha aha, und
heut verbrenn` ich mich daran…“
Zur selben Zeit an
einem anderen Ort tunkt gerade ein übergewichtiger Rentner eine PommiPommes in
einen Becher mit Mayonnaise. Seine alten, faltigen Lippen ziert ein kreisrunder
Fettring. Und ein Lächeln.
„Sehr,
sehr jut…“, murmelt er vor sich hin. „Ich
weiß gar nich´, was die Mutti gegen den alten Dostojewski hatte…“