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Donnerstag, 19. Dezember 2013

Ehrlichkeit

Ich sitze am Rechner; ein langer, anstrengender Tag liegt hinter mir. Ich trinke ein Bier und schau mir sinnlose Videos auf youtube an. Nebenher habe ich facebook auf, damit ich immer auf dem Laufenden bin. Matze schreibt mir, er will wissen, ob ich schon Cloud Atlas gesehen hab und ob der gut ist, weil der sich den mit seiner Freundin reinziehen will. Ich antworte, dass der Film Schrott ist, aber mit der Freundin kann man den schon gucken. Ich gebe "Hund beißt Kind in die Eier" in das Suchfeld ein und klicke das zweite Video in der Liste an. Ich habe dieses Video jetzt schon mindestens fünfhundert Mal gesehen und es wird von Mal zu Mal komischer. Ich genieße meinen Lachanfall, als der Hund versucht, mit seiner Schnauze nach dem roten Laserpointer zu schnappen, der dem Jungen zwischen die Beine geleuchtet wird. Wieder einmal denke ich mir, wie geil doch lachen ist, man vergisst alle Sorgen, der Kopf macht ´ne kleine Pause vom Gedankenkarussell und das Leben erscheint einem leicht und unbeschwert. Lachen ist echt das Beste.
Eine neue Nachricht bei facebook. Tanja lädt zu ihrem Geburtstag ein. Bei Tanja gibt´s immer Bier umsonst, denke ich, also klicke ich auf "nehme teil" und schreibe einen Kommentar unter die Einladung: Stell schon mal das Bier kalt! ;)
Ich klicke auf ein Video mit dem Titel "Mann spaltet Melone mit seinem Kopf". Ich schaue mir den Mann an, der eine Melone mit seinem Kopf spaltet. Interessant.
Bier leer, ich hol ein neues aus dem Kühlschrank.
Facebook meldet sich wieder. Es ist Matze. Er schreibt, dass sie sich jetzt den neuen Hobbit angucken, die Freundin hatte keinen Bock auf Cloud Atlas. Ich antworte, dass der auch scheiße ist, aber mit der Freundin kann man den ruhig gucken.
Es kommt noch eine Meldung, ich klicke auf die rote Eins bei Benachrichtigungen. DanTheDarkness hat mal wieder eine neue Story online, na toll. Am Anfang hab ich den Kram ja noch gerne gelesen, die eine Story mit der Minderjährigen war echt saugeil, oder die mit dem Mann in der Bahn, der die ganze Zeit vom Ficken labert, hab mich weggeschmissen. Aber in letzter Zeit schreibt der echt nur noch Bullshit. Liebe hier und Freundschaft da, kaum noch lustige Sachen drin. Irgendwie zieht mich der Scheiß immer runter den der schreibt, warum macht der das eigentlich? Was hat der davon, andere Leute runterzuziehen? Früher war der Kerl echt lustig, keine Ahnung, aber seit ein paar Jahren geht der allen einfach nur noch auf den Sack. Der denkt einfach zu viel und vor allem zu viel Scheiße. Denken ist ja eigentlich ziemlich gut, aber nicht, wenn´s einem schadet, dann sollte man das sein lassen, finde ich. Na egal, wir haben früher viel Zeit miteinander verbracht, Dan und ich, also tue ich ihm den Gefallen und les den Scheiß. Ist ja zum Glück nur ne kurze Story.
Also, worum gehts, guter Mann? Ehrlichkeit... - lame. Dem fällt echt nichts mehr ein. Traurig. Na, was soll´s, dann schauen wir mal, was der ach so schlaue Herr Darkness so über Ehrlichkeit schreibt...

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"Ehrlichkeit" - 17.12.2013
Die Sache mit der Ehrlichkeit ist, dass sie nie in absoluter Konsequenz ausgelebt werden kann ohne Schaden anzurichten. Ehrlichkeit bis zu einem gewissen Grad ist in den meisten Fällen vorteilhaft, sie schafft Authentizität, sie schafft Vertrauen; Menschen fühlen sich geborgen und sicher, wenn sie ihr Gegenüber zu kennen glauben. Aber in jeder Beziehung herrscht eine unsichtbare Grenze und wer diese überschreitet, dem wird die Ehrlichkeit zum Verhängnis. Ehrlichkeit schafft Ablehnung, Unverständnis, Enttäuschung. Ehrlichkeit schafft Schwäche und wer schwach ist, der muss leiden. Die Schwachen schwimmen unter dem Strom - sie leisten nichts, sie wissen nichts, sie können nichts.
Niemand will schwach sein. Und doch sehnen wir uns nach vor allem eines: Verstanden zu werden, geliebt zu werden, als der Mensch, der wir wirklich sind, ohne Maske, ohne Schutz. Wir sehnen uns nach Vertrauen. Dieses Vertrauen glauben wir in kleinen ausgesuchten Kreisen gefunden zu haben, die wir um unsere Seele errichtet haben. Den Kreis der Freundschaft, den Kreis der Liebe.
Doch auch Freundschaften sind anfällig für die Flammen der Ehrlichkeit, auch die Liebe zu einem Menschen kann uns täuschen, wenn er sich uns als der offenbart, der er wirklich ist. In der Freundschaft und der Liebe herrschen dieselben Grenzen wie in allen anderen Beziehungen, nur sind sie weiter gesetzt und erlauben mehr Freiraum, mehr Luft zum atmen, um die nächste Lüge vorzubereiten.
Entsetzen macht sich breit, wenn man das Bild, dass man sich mühsam über Jahre hinweg von einem Menschen gemacht hat, vor sich einstürzen sieht; wenn sich Seiten an der Persönlichkeit auftun, die man bis dahin noch nicht kannte und die einem Angst machen, die verstörend, peinlich oder sogar bösartig sind. Vorbei ist dann das Vertrauen, vorbei die Hoffnung auf grenzenlose Ehrlichkeit. Vorbei die Freundschaft oder auch die Liebe oder in Beziehungen das Verlangen.
Vorbei, vorbei, vorbei.
Man breitet die Arme aus, sucht verzweifelt nach Ersatz um das dunkle Loch zu stopfen, die klaffende Wunde, die der einst so geliebte Mensch, der jetzt ein Fremder ist, in die eigene Seele gerissen hat. Und man findet Ersatz. Die Lüge hilft dabei, tatsächlich zu glauben, dass man nun wieder sicher sei. Die Lüge hilft dabei, erneut von Ehrlichkeit und wahrer Liebe zu sprechen, als habe man vergessen wie grausam das Erkennen gewesen ist, wie schmerzhaft die Wahrheit, wie gleißend die Verblendung.
So halten manche Verbindungen, vielleicht für die "Ewigkeit", denn dort wurden nie die unsichtbaren Grenzen überschritten, dort wurde die Lüge gefeiert wie ein Heiliger, ein Schutzpatron der Freundschaft, der Liebe, ein alles umfassender Puppenspieler, der zusammenhält, was nicht zusammen passt. Und wir frönen diesen Verbindungen, wir sprechen sie heilig, wir sagen "Ich liebe dich" und "Du bist mein bester Freund" und es ist uns gleich, dass wir lügen, weil wir uns in der Lüge geborgen fühlen, heimisch, geschützt. Bis dann doch eines Tages eine Grenze überschritten wird, der Vorhang fällt und die Lüge auffliegt. Nackt steht sie dann da, im grellweißen Scheinwerferlicht und wimmert und fleht, Ekel ergreift uns und panische Verzweiflung, die uns zur Flucht ins Ungewisse zwingt, zur Flucht in die Fremdheit der Menschenmassen, der Schatten, von denen einer unser Retter sein wird - sein muss! - sonst lohnt es sich nicht zu bleiben, sonst ist alles umsonst gewesen, jeder Atemzug, jeder Gedanke, jedes Gefühl, jedes verlogene Wort. Wir alle sind Getriebene der Einsamkeit, ständig auf der Flucht vor der Wahrheit, denn die Wahrheit zerfetzt uns wie ein Raketenschauer.
Wenn ich doch nur die Lüge lieben könnte, dann wäre ich endlich geheilt. Wenn ich doch nur zugleich lügen und lieben könnte, dann hätte ich einen Platz im Chaos der Gestalten. Aber ich kann es nicht, die Lüge widert mich an, das Schauspiel verdreht meine Gedärme, der Zirkus der Menschheit ist eine Vorstellung des Wahnsinns.
Seht her, ich überschreite sämtliche Grenzen, seht meine Seele, nackt und wimmernd, flehend im Scheinwerferlicht. Ich bin DanTheDarkness, das hässlichste, schwächste, widerwärtigste Geschöpf auf Erden. Wendet euch ab, wenn ihr den Anblick nicht länger ertragen könnt aber verschont mich mit euren Lügen! Wer bleiben will, der soll bleiben. Euch will ich lieben, so wie ihr seid, mit all euren Fehlern und Schwächen. Wir errichten uns ein Königreich der Ehrlichkeit, in dem es keine Grenzen mehr gibt, keine Angst vor dem blendenden Antlitz der Wahrheit, keine Lügen, die wie drahtige Nähte blutende Wunden zusammenhalten.
Ich wähle die Ehrlichkeit und mit ihr, wenn es sein muss, die Einsamkeit. Denn nur so fühle ich mich geborgen, heimisch und sicher. Nehmt eure Lügen und werdet glücklich auf eurer Flucht vor euch selbst. Ich bleibe hier und träume vom Universum, den ewig schweigenden Sternen im dunklen Ozean der Unendlichkeit, den Monden und Sonnen, Kometen und Asteroiden.
Ich bleibe hier und erlerne das Schweigen.
"Vos qui transitis... Serius aut citius sedem properamus in unam."

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Alter, genau das meine ich. Was meint der mit Lügen, wieso lügen denn alle? Wieso muss man einsam sein, wenn man ehrlich ist? Der hat echt ne Macke, der Vogel. Mal wieder ärgere ich mich darüber, den Scheiß gelesen zu haben. Meine gute Laune ist dahin. Das war echt das letzte Mal, dass ich mir ne Story von DanTheDarkness reingezogen hab, das allerletzte Mal. Freundschaft und blutige Nähte... tz, das will doch keiner lesen, du Spast!
Na, was solls, ich gebe "Hund beißt Kind in die Eier" in das Suchfeld bei youtube ein und schau mir das Video an. Beim dritten Mal muss ich endlich lachen und DanTheDarkness ist vergessen. Ich teile das Video mal wieder bei facebook und schreibe einen Kommentar:
"Leute, es ist immer wieder geil! Ich kann nicht aufhören, darüber zu lachen! xD"
Bier leer, ich stehe auf und hole ein neues aus dem Kühlschrank...