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Mittwoch, 15. Mai 2013

Gib mir den Rest

Es ist Freitag und heute ist Fickabend. Ich sitze an der Bar einer stilvoll eingerichteten Diskothek im Herzen unserer hässlichen Stadt. Karl der Ficker hat bereits sein erstes Opfer gefunden, eine unfassbar scharfe, gut geformte blonde Ficksau, mit der er sich nach nur wenigen Sätzen auf die Damentoilette verzogen hat. Der Abend ist noch jung, die Menschen gut drauf, es gibt reichlich Alkohol, Drogen und viel hübsches Fleisch. Jedenfalls fürs Auge, mein Schwanz übt sich schon seit geraumer Zeit in ästhetischer Enthaltsamkeit. Dem Ficker hingegen geht es blendend. Mit rosigen Wangen kehrt er von seinen Streifzügen durch den blonden Dschungel der Wollust zu mir zurück, die Fickbratze im Arm. Beide lächeln sie mich an, wie zwei zugeballerte Kinderarbeiter aus Sumangali, die gerade das erste Mal Klebstoff geschnüffelt haben.
„Das is` mein Kumpel David.“, sülzt Karl der Ficker zu dem blonden Luder rüber. „David La Cena. Itaker, aber `ne gute Seele.“
Das Fickstück bricht in Gelächter aus.
„Und das hier is`…“ Der Ficker hat sich selbst in die Scheiße geritten, da ihm der Name sichtlich entfallen ist, aber wie ich ihn kenne, kommt er da ganz schnell von selbst wieder raus. Er kommt aus allem ganz schnell selbst wieder raus und findet immer wieder was Neues zum Ficken. Karl ist ein Idiot, aber ein ziemlich gutaussehender. Deshalb ist er auch selten einsam und somit oft glücklich. Ein glücklicher Idiot.
„Jessica.“, kommt ihm das heiße Gerät zu Hilfe und hält mir eine zierliche Hand hin. Ich zögere kurz, da ich mir unweigerlich vorstellen muss, wie sie die riesige Nudel des Fickers mit dieser bleichen, zarten Hand vor nur wenigen Minuten bearbeitet haben muss, besinne mich jedoch und nehme sie in die meine. Kalt, weich, sexy. Ich spüre wie der altbekannte Neid in mir aufkeimt. Immer bekommt er was zu ficken, der Ficker. Immer fickt er, während ich einsam nach Hause fahre und mir als Trostpreis zwei, drei Pornos aus dem Netz ziehe und mir mit meiner nicht mal ansatzweise zarten Hand einen von der Palme jucke.
Egal, man kann nicht alles haben. Manche bekommen auch gar nichts. Ich hab wenigstens Hände, sonst könnte ich nicht mal mehr wichsen. Was für eine Folter das wäre, ein Leben ohne Hände. Ich würde mir sicher zwei Rippen brechen lassen, um mir meine Lunte selbst lutschen zu können. Da platzen einem ja die Eier schon allein bei der Vorstellung.
Ich betrachte die beiden Ficker. Karl den Ficker und Jessica, die fickende Fotze. Er küsst sie, dann lachen sie, sie streicht ihm durchs Haar. Mein Blick gleitet zu ihren kleinen, doch wohl gerundeten Möpsen hinab. Tolles Ding, alles bestens. Ich würde mir eine Hand abhacken, um da mal reinzustapeln. Wohl gemerkt, eine Hand und ich denke sicher nicht an meine geliebte rechte.
Wir trinken noch eine Weile zusammen, das heißt, ich trinke, die beiden bereiten ihre nächste Nummer vor, indem sie sich leidenschaftlich küssen und ablecken, während ich daneben sitze und der Fotze auf die Titten starre. Wie es kommen musste, verschwinden die beiden noch einmal aufs WC, während ich gerade meinen dritten WOTR bestelle.
Was ist nur los mit den Fotzen, sinniere ich, den Whiskey genießend, während ich an das rothaarige Miststück von eben denke.
„Verpiss dich, du Schleimer!“, hatte sie mir ins Gesicht gelallt. Dabei war ich wirklich charmant gewesen. Hab ihre Titten gelobt. Dabei waren das nicht mal Meister-Titten. Ganz normale Dinger hatte die, nicht schön, nicht hässlich. Mir wäre es trotzdem recht gewesen, aber was will man machen. Die Fotzen haben die Wahl, wir Kerle ficken nur, was wir kriegen können. Manchmal macht mich die ganze Schose ganz schön wütend. Wer zum verfickten Jesus Christus hat sich eigentlich diese Scheiße ausgedacht? Die Männer laufen durch die Gegend auf der Suche nach Muschis, in die sie ihre vor Geilheit triefenden Gurken reindrücken können, während das sensible Geschlecht auf den Ritter in strahlender Rüstung wartet, der sie auf Händen durch den üblen Morast des Lebens trägt. Verquere Kacke das Leben eigentlich. Absurd. Wenn da nicht der Alkohol, die Pornos, das gute Essen und die Liebe wären, dann würde ich es hier in dieser sogenannten Realität keine zwei Sekunden aushalten. Ich würde schreiend aus der Möse meiner Mutter platzen und die Ärzte um eine Rasierklinge oder eine Überdosis Schlaftabletten anflehen. Meine ersten Worte wären nicht „Mama“, oder „Popo“, sondern: „Ihr verfickten Schwanzlutscher, ich will den ganzen Fick hier nicht, gebt mir was, womit ich einschlafen und nie wieder aufwachen kann, sonst pump ich eure Rosetten in Stücke!“
Aber es gibt den Alkohol, die Pornos, das gute Essen und… na, bei der Liebe bin ich mir nicht so sicher, aber den Rest gibt es und das macht mich glücklich. Da soll doch noch mal einer kommen und sagen, dass das Leben nicht lohnenswert sei.
Ich kippe den WOTR in meinen vor sich hin vegetierenden Leib und beschließe, einen neuen Versuch zu wagen. Die Dunkelhaarige auf der Tanzfläche hat mir beim Tanzen so einen aufreizenden Blick zugeworfen, das muss ein Zeichen sein. Diesmal werde ich mich zurückhalten mit meinen Komplimenten. Ich spiele den Coolen, das zieht, da bin ich sicher. Sie kommt auf mich zu, unsere Blicke kreuzen sich. Dunkles Haar, dunkle Augen, etwas fülliger, als ich anfänglich vermutet hatte, aber durchaus attraktiv das Mädchen. Sie stellt sich neben mich an die Bar. Sie duftet nach Rosen, Mädchenschweiß und Fruchtshampoo. Sie bestellt ein Wasser und tut so, als merke sie nicht, dass ich sie anstarre.
„Hey.“, sage ich laut genug, sodass sie mich über die dröhnende Musik hinweg hören kann. Sie blickt zur Seite, mir tief in die Augen. Sie lächelt nicht. Sie spricht nicht.
„Ich bin David.“, versuche ich erneut, ein Gespräch mit ihr zu beginnen. „Du tanzt sehr gut.“
Sie bekommt ihr Wasser und will bezahlen. Ich übernehme das. Jetzt lächelt sie. Sie bedankt sich höflich und schaut mich an, als wäre ich eine abgelaufene Dose Thunfisch im untersten Regal der Supermarkt-Theke.
„Möchtest du dich zu mir setzen?“, frage ich und nicke Richtung Barhocker, auf dem Carlos, äh, ich meine Karl der Ficker gesessen hatte, als wir unseren ersten Whiskey in diesem Laden getrunken hatten.
„Danke für das Wasser, aber ich geh` lieber wieder tanzen.“, sagt das schöne Mädchen. Ich lasse mir meine Enttäuschung nicht anmerken und lasse sie ziehen. Ich bin der Captain der Titanic, der den unausweichlichen Tod vor sich aufbäumen sieht und gleichmütig mit den Achseln zuckt. Was soll`s, denke ich. War sowieso zu fett für dich. So mache ich das immer. Wenn ich eine Abfuhr erhalte, was sehr häufig geschieht, dann rede ich mir die Fotze hinterher schlecht. So habe ich das Gefühl, nichts verpasst zu haben.
Nur durch Niederlagen kommt man zum Ziel. Karl der Ficker hat Glück. Die Frauen liegen ihm zu Füßen. Ich hingegen habe dieses niederträchtige Aussehen. Die Fotzen sehen mir an, dass ich sie nur flachlegen will, was nicht gut ist. Niemand will von jemandem flachgelegt werden, dem man ansieht, dass er einen nur flachlegen will. Man will von jemandem flachgelegt werden, der das Schauspiel der Liebe beherrscht. Einem leidenschaftlichen, fantasievollen Juan, der nett, aber auch zielstrebig ist. Der nicht aufs Ficken aus ist, doch wenn es dazu kommt, ein Meister seines Fachs ist. Ich bin ein Meister meines Fachs. Ich ficke gut, jedenfalls habe ich einen Mordsspaß dabei. Aber bei dem Rest bin ich ein Versager. Gut, aber der Abend ist noch jung. Spätestens gegen vier, fünf Uhr, wenn die Läden dicht machen und die schönen Menschen schon was für die Nacht am Haken haben, dann ist meine Zeit gekommen. Dann stürze ich mich wie ein Aasgeier auf das verbliebene Fleisch und schlinge in mich hinein, was an pulsierendem Leben noch übrig ist. Resteficken, da kann ich punkten. Die Reste, das ist die Mahlzeit, die mich sättigen und zufrieden machen wird. Und wer sagt, dass unter den Resten nicht auch mal hin und wieder ein fettes Stück Lasagne bei ist? Oder ein Stück Flusskrebsfilet oder so was in der Art. Ich habe also Geduld.

Vier, Fünf Uhr. Resteficken. Ich mühe mich am Aas der Party ab, doch ohne Erfolg. Während Karl der Ficker seinem Namen alle Ehre macht, husche ich verzweifelt von einer Abfuhr zur nächsten. Die Fotzen fahren lieber allein nach Haus, als sich von einem Jango, dem man ansieht, dass er nur aufs Flachlegen aus ist, flachlegen zu lassen. Kein Glück für mich diese Nacht. Als das Licht angeht und die grellen Partikel den verschwitzten, stinkenden Menschen auch noch das letzte Fünkchen Schönheit rauben, eile ich zur Garderobe und stürme Richtung Ausgang. Ich platziere mich so, dass mich jeder Discobesucher ansehen muss, sobald er aus dem Laden kommt. Ich lächle jeder Frau zu, egal, wie fertig sie aussieht, in der Hoffnung, dass es von irgendwem erwidert wird.
Nichts.
Das einzige, das mir entgegenschlägt, ist Müdigkeit. Müdigkeit, Einsamkeit und Resignation. Der Ficker kommt als Letzter aus dem Laden, im Arm eine verbrauchte, doch ziemlich attraktive Schlampe. Wir trinken noch ein Bier am Kiosk zusammen, die Schlampe ist nett, etwas unförmig und besoffen, aber nett und ja, ich würde sie in alle Löcher ficken, wenn nicht überall „reserviert“-Schilder hängen würden. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes: Karl der Ficker hat genug.
„Leuts… schgeh na`Hause… Müde, müde, müde… Genug… Genug gefickt.“, lallt er in die Runde, winkt, während er sich torkelnd umwendet und in den blauen Dunst der Morgendämmerung hineinwankt.
„Mach`s gut, alter Knabe!“, rufe ich ihm hinterher und werfe der fremden Dame ein Lächeln zu.
Sie erwidert es.

Wir verschwenden keine Zeit. Rein in ihre Bude, in der es nach Katzenpisse und altem Essen stinkt, raus aus den Klamotten, rein in ihre Möse, die sich anfühlt, als wäre sie kurz zuvor von einem Bison vergewaltigt worden. Woran reibt sich mein Schwanz da eigentlich?, denke ich. Ist das Luft? Ja, das muss Luft sein. Ich spüre nämlich rein gar nicht.
R E I N G A R N I C H T S !
Sie gibt sich keine Mühe ihre Teilnahmslosigkeit zu verbergen. Kein Gestöhne, kein „Ja, gib`s mir!“, keine Stellungswechsel, nichts. Sie wartet einfach nur darauf, dass ich fertig werde, damit sie endlich schlafen kann. So wird das nichts, denke ich. Ich vermisse meine Hand, meine feste, enge Hand, an der sich mein Schwanz so richtig schön abrubbeln kann. Das hier ist wirklich die mieseste Muschi, die ich je gefickt habe. Selbst ein Stück Tiramisu zu rammeln ist da spaßiger. Meine Güte, denke ich, während ich das schleimige Nichts ficke, meine verfickte Güte. Ich versuche an heiße Sachen zu denken: Die Dunkelhaarige von der Tanzfläche, der Porno mit den zwei Muschis, die sich gegenseitig anpissen und sich dann die Pisse von den glitschigen Körpern lecken, ich denke an Rebecca, meine Ex-Fotze, die eine wirklich schöne, enge, weiche, tiefe Muschi hatte. Ich versuche mir das Gefühl vorzustellen, wie es ist, eine enge Muschi zu poppen. Doch es hilft alles nichts. Mein Schwanz wird schlaff, die Fotze wach, sie fragt sogar: „Was los?“
Ich ziehe meinen Schwengel „raus“, ziehe mich an und frage das Mädchen, ob sie noch was zu Trinken da hat. Sie richtet sich auf und sagt:
„Ob ich noch was zu Trinken da habe?“ Im Halbdunkel erkenne ich, dass sie wütend ist. „Ob ich noch was zu Trinken da habe???“
Ich hebe die Hände und sage: „Schon gut, war ja nur `ne Frage.“
„Warum hast du nicht abgespritzt, du Looser?“ Ja, sie ist wütend. „Was soll das? Bin ich dir zu fett oder was? Ist meine Muschi zu breit oder wie? Na, sag`s doch einfach! Sag „Deine Muschi ist zu weit, Bitch!“, na los!“
Ich zucke mit den Achseln.
„SAG ES!“, schreit sie plötzlich. Nicht schön, wie es sich anhört, wenn ein Mädchen mit ausgeleierter Möse schreit, glaubt mir.
Ich tue ihr den Gefallen und sage: „Deine Muschi ist leider zu weit… äh… Bitch…“
„Raus.“ Sie zeigt mit dem Finger zur Haustür. „Raus!“
Ich packe meine Sachen und gehe. Zu Hause angekommen mache ich den Rechner an, lade mir `nen Porno, schau mir nette Bildchen an und wichse, was das Zeug hält. Als ich komme, rufe ich: „ICH LIEBE DICH, HAND!“
Dann sinke ich in meinen Sessel zurück, betrachte glücklich meinen vollgewichsten Schwanz, wie er kleiner und kleiner wird, dann lache ich noch `ne Runde und schlafe schließlich ein.
Reste machen satt. Doch manchmal ist es einfach besser, ohne Abendbrot ins Bett zu gehen. Nicht alles was satt macht, muss auch gegessen werden. Ich sollte das aufschreiben. Irgendwann werde ich das aufschreiben.

Das imaginäre, minderjährige Fickluder aus Polen

„Ich geh pissen.“, antwortete ich Karl dem Ficker auf seine Frage, wo ich hin wolle. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn geistesabwesend nicken, während er sein Bier an seinen schmalen Mund führte. Ich pisste lange, der Strahl schien kein Ende nehmen zu wollen. Als ich wieder an den Tisch in der Ecke der schmutzigen Kneipe zurückkehrte, saß auf dem Stuhl, der vorher leer gewesen war ein hässlicher, kahlköpfiger Kerl mit Ziegenbärtchen. Karl der Ficker unterhielt sich mit ihm, er schien ihn zu kennen. Ich setzte mich wieder auf meinen Platz und nickte dem Fremden zu, der mich mit schiefem Blick musterte.
„Is`n Kumpel.“, murmelte Karl, leerte sein Bier. Ich wusste nicht, ob er mit mir, oder dem Hans-Wurst sprach. Der Fremde musterte mich noch immer. Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Machte irgendwie `nen dämlichen Eindruck, der Vogel. Schien nicht ganz beisammen zu sein.
„De` Kerl hier nenn` sich „Der deutsche Rodriguez“.“, lallte mir Karl zu und zeigte mit dem Daumen auf den schielenden Hans-Wurst. "Dea hat ganzute Kontakte, könnt` was klar machen.“
Der Hans-Wurst hielt mir plötzlich die Hand hin und sein Gesicht fabrizierte etwas, das vermutlich ein Lächeln sein sollte. Diese Missgeburt hatte kaum Zähne und die, die noch in seinem schwarzen Zahnfleisch hingen, waren gelb, beinahe braun und voller schwarzer Punkte. Ein Glück, dass der Mief der Kneipe jeglichen Gestank, den die Gäste produzierten, übertünchte, so wie die Fresse des Einfältigen aussah, roch sie vermutlich nach Tod und Verwesung.
„Rodriguez.“, sagte der Hans-Wurst, als hätte Karl ihn nicht gerade eben vorgestellt. „Eigentlich Joachim, aber „Der deutsche Rodriguez“ macht mehr her, was? Klingt nach was großem, nach jemandem, der die Dinge anpackt und durchzieht und nich` nur dumm `rumlabert, wa?“
Widerwillig schüttelte ich ihm die Hand und zuckte mit den Achseln. Karl der Ficker starrte den Hans-Wurst an, als sei er ein göttliches Wesen, das zu den sündhaften Menschen hinabgestiegen ist, um ihnen das Wort des Allmächtigen zu verkünden.
„Meine Freunde nennen mich aber auch „Sofa-Ritze“…“ fuhr der Pisser fort. „…oder „Jango, die sich selbst leckende Ratte“.“
Die sich selbst leckende Ratte, wiederholte ich im Geiste. Originell… Ein Mann mit so vielen Namen musste eine dreckige Vergangenheit haben. Da ich mich nicht vorstellte, übernahm Karl der Ficker diese leidige Aufgabe für mich.
„Das is` David La Cena.“ Er zeigte auf mich, doch sein Finger wies an mir vorbei Richtung Toiletten. „Itaker, aber`n guter Mann. Kenn` uns schon `ne halbe Ewichkeit. Nich` wahr? Du sizilianischer Schwanzlutscher! Ne´ Ewichkeit… weisnichmehrwielangeschon…“ Karl verzog sein Gesicht. Er war schon zu besoffen, um zu lächeln. Wie ich ihn kannte, würde er trotzdem noch was zu Ficken abkriegen heute und das machte mich betroffen. Neid vermischte sich mit Mitleid gegenüber der armen Fotze, die sein widerwärtiges Gemächt schlucken musste, von dem man sagte, es sei so lang wie ein Aal und mindestens genauso schleimig.
„Itaker mag ich.“, sagte der Hans-Wurst und nickte eifrig. „Pizza und Spaghetti! Pizza is` das Beste! Und die Frauen erst! Alle hamse fette Ärsche, richtig runde, feste Dinger. Da will man einfach reinficken, in diese Ärsche, da muss man rein, sonst platzt einem die Nudel!“
Was für ein Arschficker, dachte ich, sagte aber nichts. Er hatte schließlich Recht. Wir schwiegen eine Weile. Dann ergriff Herr Wurst wieder das Wort:
„Also, wegen der Anfrage von euch Jungens…“ Er sah sich verstohlen im Lokal um und beugte sich vor. „Morgen Mittag könnte ich für euch was klar machen. Sagen wa gegen 11:30 Uhr?“ Jetzt roch ich es. Der Kerl stank wie eine Wagenladung Scheiße, halleluja, da kam einem das Kotzen. „Passt das bei euch?“
„Vielsu früh!“, raunte Karl und sprach mir aus der Seele. „Wer fickt denn mittags, Alter?“
„Tja, is` halt ebend nich` so einfach, Termine zu kriegen. Abends sind numma Kunden dran, die den vollen Preis zahl`n.“
„Was ist denn der volle Preis für die Hühner?“ wollte ich nun wissen. Der Hans-Wurst wandte sich zu mir, scheinbar erstaunt, dass ich mich plötzlich am Gespräch beteiligte.
„Na, kommt drauf an. Sach ma` je jünger desso teurer halt, ne?“
„Also für mich lohn` sich da nur `ne rischtisch junge Stute.“, meldete sich Karl der Ficker wieder zu Wort. „Die andahn kann ich mir auch selber zusammklauben.“
„Ja, schau mal, was ich bekomm` kann.“, antwortete die Wurst. „Kann gut sein, dass ihr euch eine teilen müsst.“
„Kommt nicht in Frage.“, sagte ich entschlossen. „Ich steck mein Rohr doch nich` irgendwo rein, wo vorher sein widerwärtiges Teil drin war!“
„Hee!“, rief der Ficker, doch seiner Grimasse war zu entnehmen, dass er nur den Entrüsteten mimte, im Grunde aber stolz war auf den Ruhm, den sein bestes Stück genoss.
„Na, ihr seid ja zwei.“, lachte der Zahnlose. „Wenn ihr wüsstet, was da schon für Pimmel in den Fotzen rumgerührt ham…“
Ich nickte. „Auch wieder wahr…“
„Also, simma im Geschäft?“ Die Wurst wollte Nägel mit Köpfen machen. Ich warf Karl dem Ficker einen fragenden Blick zu. Der schien noch dabei, die Vor- und Nachteile abzuwägen, nickte dann aber entschieden und sagte:
„Jo. Binn`abei. Aba nur, wenn die Fotze auch schön jung is`! Orijinal!“
„Gut.“, stimmte ich dem Ficker bei. „Ich auch. Aber ich fick zuerst.“
„Kommp ja nisch…“, setzte der Ficker ein, doch ich schlug so fest auf den Tisch, dass sich einige Trinker aus dem Lokal zu uns umdrehten und der Aufstand verstummte.
„Ich ficke zuerst.“, wiederholte ich mit ruhiger, entschlossener Stimme.
Der Ficker zuckte die Achseln.
„Jut. Dann morgen um 11:30. Wartet, schreib` euch die Adresse auf`n Deckel hier…“
Die Wurst kritzelte eine Adresse auf einen Bierdeckel und schob sie mir zu.
„Seid pünktlich, sonst war`s das mit der Fickerei.“
Er stand auf, reichte uns seine sehnige, bleiche Hand. Wir verabschiedeten uns und wünschten uns gegenseitig eine angenehme Nacht. Dann verließ er die Kneipe und ließ uns mit unserer unserem Bier, den gemischten Gefühlen und den unbezahlten Deckeln zurück.

Wir waren mehr als pünktlich am nächsten Morgen. Beide hatten wir einen Kater von der letzten Nacht, der mir jedoch vermutlich deutlicher anzusehen war als dem Ficker, der wie aus dem Ei gepellt im Anzug neben mir stand und wie ein amerikanischer Filmstar aussah.
„Warum ein Anzug, Alter?“ fragte ich mit matter Stimme, die mich selbst überraschte. „Ich mein, wir ficken gleich `ne Minderjährige, für so was poliert man sich in der Regel nicht so auf.“
Karl der Ficker zuckte mit den Achseln. „Mir war danach. Macht gut was her das Teil, wa?“
„Jo, hat Stil.“, stimmte ich abwesend zu, doch im Grunde war es mir gleich. Ich dachte an die bevorstehende Erfahrung. Große Lust hatte ich eigentlich nicht darauf, aber jetzt war die Sache angeleiert und musste angepackt werden. Ich hatte schon genug verpasste Chancen in meinem Leben vorzuweisen, das wollte ich mir jetzt nicht auch noch ankreiden lassen.
„Bin gespannt, was der Penner anschleppt.“, sagte Karl. „Wenn die zu alt is`, verpass ich dem eine und verzieh mich.“
„Mir ist`s gleich. Fotze ist Fotze.“
„Ihr verfickten Itaker.“, antwortete der Ficker und ich hörte sein schiefes Grinsen aus seinem Tonfall heraus. „Fickt alles, was euch vor die Lunte kommt. Schon mal was von Anspruch und Geschmack gehört?“
Ich musste lachen. „Anspruch und Geschmack? Willst du mir jetzt wirklich damit ankommen, du Hurensohn?“
Karl der Ficker zog sein Jackett straff. „Ja, genau damit will ich dir kommen, Meister. Ich dachte, ihr Pastafresser seid immer so eitel und stilsicher. Wenn ich mir deine Gammelklamotten so ansehe, frage ich mich echt, ob du nicht vielleicht bei deiner Geburt verwechselt wurdest und in Wahrheit das Produkt eines fetten, dackelfickenden Ruhrpott-Versagers bist.“
Jetzt mussten wir beide lachen. „Ja, genau. Richtige Italiener schmeißen sich in den Smoking, wenn sie mit ihren deutschen Freunden kleine, russische Kindernutten ficken gehen.“
„Jo, davon bin ich bisher ausgegangen. Du hast mein Weltbild zerstört.“
„Mi dispiace.“, antwortete ich und registrierte im gleichen Augenblick, wie der Hans-Wurst um die Ecke kam. „Da kommt er.“, sagte ich. Aus irgendeinem Grund wurde ich plötzlich nervös.
„Hee, der is` ja alleine.“, stellte der Ficker missmutig fest.
Ich schwieg. Gemeinsam warteten wir darauf, dass der Hans-Wurst uns erreichte.
„Hallo Jungens.“, begrüßte er uns in fröhlichem Tonfall. „Pünktlich wie die Maurer.“
„Ich dachte, du bringst uns was Nettes mit?“, kam Karl auf den Punkt. „Wie ich sehe, biste aber alleine.“
Der Hans-Wurst nickte. „Ja, keine Sorge. Ist alles schon vorbereitet. Ein Kollege von mir wartet mit der Kleinen in der Halle. Müssen nur durch das Tor hier und über den Platz. Keine Sorge, das Gebiet hier is` komplett tot, war mal `ne Lagerhalle für Kik, gehört aber jetzt komplett meinem Cheffe. Kommt, ich bring euch rein.“
Während der Komiker das Gitter zum Hof öffnete, warf mir Karl der Ficker einen missmutigen Blick zu. Irgendetwas war faul an der Sache, dass spürten wir beide. Doch wir folgten dem drahtigen Spinner, als hätte eine unsichtbare Dummheit von uns Besitz ergriffen.
„Glaubt mir, Jungens, ihr werdet nich` enttäuscht sein! Hab da ein Deluxe-Exemplar aufgegabelt, gerade 14 geworden, blonde Locken, sogar `ne Zahnspange hat se drin.“
„Hmm…“, machte Karl.
„Is` ne Polin, macht alles was ihr wollt, müsst`s ihr nur deutlich genuch zeigen. Hab` se selbst schon rangenommen gestern, wirklich `n Prachtstück, die Kleine…“
„Hmm…“, machte ich.
Wir erreichten die Lagerhalle. Der Hans-Wurst klimperte mit seinem Schlüsselbund am Schloss rum, mit lautem Geratter schob sich der Riegel im Inneren des massiven Tors zur Seite. Ein eisiger Schwall kalter, abgestandener Luft strömte uns aus dem Inneren der Lagerhalle entgegen, als die Wurst das Tor zur Seite schob und uns mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass wir eintreten sollten.
Dumm, wie wir waren, gingen wir voran. Ich zuckte zusammen, als das große Tor mit einem lauten Rattern zugezogen wurde und knirschend ins Schloss fiel. Als hätte ich es geahnt, war ich kaum überrascht, als ich die Wurst hinter mir sagen hörte:
„Na, dann lasst ma die Scheinchen sehen.“
Der Ficker und ich drehten uns gemeinsam um und blickten in den Lauf einer Pistole. Die Wurst stand mit ihrem zahnlosen Grinsen im Halbdunkel der Halle vor uns und zielte mit dem Ding auf unsere Eier, erst auf Karls, dann auf meine, dann wieder auf Karls und so weiter. Schien ihm Spaß zu machen, das Ganze.
„Ihr seid vielleicht zwei Trottel.“, lachte er schrill. „Zwei dämliche, perverse Trottel.“
„Und du bist `n lausiger Hurensohn, dem sein Vadder zu oft ins Hirn gefickt hat.“ Das war Karl der das gesagt hatte. Ich warf ihm einen überraschten Blick zu. Der Kerl hatte Eier, das musste man ihm lassen.
„Kreativ.“, antwortete der Hans-Wurst. „Juckt mich aber nicht im Geringsten.“ Jetzt zielte er auf den Kopf des Fickers. „Her mit der Kohle. Alles was ihr habt.“
„Und wenn nich`?“ Die Pferde schienen mit ihm durchzugehen, dachte ich. Glücklicherweise beendete die Wurst Karls Höhenflug, indem er ihm mit der Wumme zwischen die Beine schoss, ganz knapp unter seinem Aal hindurch. Man konnte das Rückgrat des Fickers förmlich zerbersten hören. Wie ein kleines, verängstigtes Mädchen fiel er plötzlich vor der Wurst auf die Knie und winselte und bettelte und bot ihm sogar an, seinen Arsch ficken zu lassen, wenn er uns doch nur am Leben ließe. Es war ein erbärmliches Schauspiel, das der Hans-Wurst sichtlich genoss.
„Na, wen haben wir denn hier?“, höhnte er grinsend. „Erst kleine, unschuldige Mädels ficken wollen und sich dann selbst als weibische Nutten entpuppen.“
Ich räusperte mich und wies daraufhin, dass ich mich wie ein Mann verhalten würde und bereit sei, ihm ohne großes Theater meine Kohle zu geben, doch die Wurst lachte nur und richtete jetzt den Revolver auf meinen Sack.
„Ihr zwei widert mich an. Los, schmeißt mir eure Brieftaschen zu und wir beenden das Ganze, bevor ich meinen Guten-Morgen-Brunch vor euch ausbreiten muss.“
Wir taten, wie uns geheißen. Die Wurst steckte das Geld in seine Jackentasche und schob uns unsere Börsen mit dem Fuß zurück.
„Eure Ausweise und Kreditkarten könnt ihr behalten. Ich hab` heut` meinen moralischen Tag.“ Zum Spaß schoss er Karl dem Ficker noch eine Kugel vor die Füße, die ihn augenblicklich in einen erbärmlichen Heulkrampf verfallen ließ.
„Achthundert Schinken, gute Bilanz.“ Die Wurst zwinkerte mir zu und zielte mir wieder zwischen die Beine. „Ihr zählt jetzt bis Tausend und dann geht ihr vorne auf die Hauptstraße raus. Das Tor hier mach ich zu. Keine Bullen. Wenn ihr auch nur an Rache denkt, macht euch bewusst, dass ich ziemlich gemeine Freunde habe, die wirklich, wirklich traurig wären, wenn mir auch nur ein Haar gekrümmt würde. Und wenn meine Freunde traurig sind, dann sind sie meist auch ganz schnell sehr wütend. Und wenn sie wütend sind, dann werden Säcke abgeschnitten und gewissen Personen in die Hälse gestopft, wenn ihr versteht, was ich meine.“
Er ging langsam rückwärts auf das Tor zu, schob den Riegel auf, ohne den Blick von uns abzuwenden und öffnete das Gatter. Fahles, graues Licht fiel in die Halle.
„Macht`s gut, ihr perversen Schweine!“ schallten seine letzten Worte durch die Halle, dann war er draußen und das schwere Tor fiel krachend ins Schloss.
Ich begann zu zählen, während Karl der Ficker wimmernd in seiner eigenen Pisse neben mir lag und nach seiner Mutter rief.

Am selben Abend saßen wir wieder in der Kneipe. Die Stimmung war mies, aber das Bier war frisch und belebend wie immer. Wir tranken schweigend und vermieden es, uns in die Augen zu schauen. Nach einer Weile sagte der Ficker schließlich:
„Weiß nich`… Irgendwie glaub ich, dass die Filmindustrie am Arsch is`.“ Ich starrte ihn an, wie er da saß in seinem Anzug und zur Bar hinüber sah, die Augen glasig, der Mund ein schmaler Streifen in seinem kantigen Filmstar-Gesicht.
„Ich mein`…“ fuhr er fort und nippte an seinem Bier. „Immer der gleiche Scheiß, Film für Film, immer dasselbe.“
Ich zuckte die Achseln und nahm ebenfalls einen langen Schluck.
„Denen fällt einfach nix Neues mehr ein, gab schon alles. Und mit der Musik is` es genauso. Alles schon ma` da gewesen. Wird nur noch kopiert und die Leute zahlen auch noch für den Dreck. Die zahlen immer weiter, für alles, was se vorgesetzt bekommen. Muss gar nich` ma` originell sein, der Scheiß. Hauptsache, sie ham was, wofür se ihr hart erarbeitetes Geld rauswerfen könn`. Und solange sie zahlen, produzieren die Ficker auf der anderen Seite weiter Scheiße, bis wir alle daran ersticken.“
Wir tranken.
„Versteh` ich nich`…“ murmelte der Ficker und ich merkte, wie ich langsam abschweifte und an italienische Frauen und ihre fetten Ärsche dachte. Die waren aber auch zum Anbeißen, dachte ich. Man kann da gar nicht anders, als ans Reinficken zu denken. Da muss man rein, sonst platzt einem die Nudel.
Schon verrückt, die Welt, dachte ich weiter. Ich trank mein Bier aus und lächelte.
Verrückt, verrückt…

Freitag, 10. Mai 2013

Bertram

Hallo. Mein Name ist Bertram. Ich schaue zum Einschlafen immer historische Dokumentationen. Am liebsten die über Hitler und Goebbels und die Nazis. Ich mag das Timbre der Stimme des Sprechers, die beruhigende Kälte der Schwarz-Weiß-Aufnahmen und die unterschwellige Gewissheit, dass heute alles besser ist. Das entspannt mich. Dann kann ich schlafen. Generell schlafe ich besser, wenn der Fernseher läuft. Man fühlt sich nicht so einsam. Da ist eine Stimme, die zu einem spricht. Da sind Leute, die miteinander sprechen, vielleicht etwas kochen oder Lieder singen. Aber die traurigen Sachen gucke ich mir nicht an. Jedenfalls nicht zum Einschlafen. Afrikanische Kinder oder so. Und hier, diese Gruselgeschichten, wenn wieder mal ein Familienvater Amok gelaufen ist oder Kinder geschändet wurden. Da wird einem ja ganz übel bei so was und wenn mir übel ist, schlafe ich sehr schlecht. Deshalb trinke ich auch sehr selten Alkohol. Wenn sich dann abends im Bett alles dreht, da mache ich kein Auge zu.
Wie Sie sehen, ist mir mein Schlaf sehr wichtig. Ich arbeite in der Personalabteilung eines großen Schuh-Konzerns. Ich darf den Namen des Betriebes nicht nennen, wurde mir gesagt, aber ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich schon seit dreiundzwanzig Jahren dort beschäftigt bin und in der ganzen Zeit nur einmal krank gewesen bin. Ich bin ein robuster Arbeiter, was auch, oder vielleicht zum größten Teil daran liegt, dass ich so einen guten Schlaf habe. Außerdem trage ich sehr viel Verantwortung, wissen Sie. Einfach mal ein paar Tage krankfeiern ist da nicht, ohne mich geht alles drunter und drüber.
Ich stelle Leute ein. Azubis, aber auch höhere Stellen. Ich habe eine sehr gute Menschenkenntnis. Ich sehe schon auf den ersten Blick, ob jemand was taugt. Zuerst einmal ist da die Kleidung. Wenn sich jemand keine Mühe bei seiner äußeren Erscheinung gibt, dann sehe ich das. Mit solchen Schludrianen und Pantoffelhelden wollen wir in unserem Unternehmen nichts zu tun haben. Dann achte ich besonders auf die sprachlichen Qualitäten des Bewerbers oder der Bewerberin. Aussprache, Wortwahl, Fremdsprachenkenntnis. Allein, wie sich ein Bewerber im Gespräch verhält, gibt mir Auskunft über seine Produktivität und Nützlichkeit. Ich frage auch nach persönlichen Interessen, Hobbies, Musikgeschmack usw. Wer Jazz hört, ist meist ein introvertierter, eher fauler Zeitgenosse, der sich gern von Negern unterhalten lässt, aber selbst keinen Finger krümmen will. So was weise ich sofort in die Schranken, solche Sympathisanten der Faulheit kommen bei mir nicht weit. Klassik, wäre zum Beispiel eine gute Antwort. Oder meinetwegen auch Populärmusik, das ist offen, zurückhaltend und seriös. Im Übrigen habe ich nichts gegen Lügner, wenn es höfliche Lügen sind, die gut durchdacht sind und einen Zweck erfüllen. Wenn Sie beispielsweise zur Gattung der Negerverehrer gehören, dies aber im Bewerbungsgespräch nicht zugeben, zeigt mir das, dass Sie sich für ihre Gesinnung schämen und Ihnen etwas an der Zusage liegt. Für seine Triebe kann man ja nichts, ich bin da nicht so schroff. Aber man sollte sich schon in gebührenderweise schämen und eine devote Haltung einnehmen, wenn man weiß, dass man Dinge mag, die moralisch und künstlerisch schlecht sind.
Es ist natürlich auch schon mal vorgekommen, dass ich für einen Bewerber… ähem, oder eine Bewerberin, Feuer und Flamme gewesen bin und dann ein Satz wie „Ich engagiere mich sehr für Politik und bin stolzes Mitglied der Sozialdemokraten.“ gefallen ist, der alles Feuer von jetzt auf gleich hatte erlöschen lassen. Natürlich lasse ich mir dann meine Enttäuschung nicht sofort anmerken, sondern spiele noch ein wenig mit dem Anwärter, vor allem wenn es sich um eine so hübsche Dame wie das Fräulein Harnisch handelt. Wirklich eine Schönheit, mit diesem langen blonden Haar und den feinen, dezent geschminkten Gesichtszügen und… Nun, ja, das tut hier nichts zur Sache. Jedenfalls habe ich auch den Antrag des Fräulein Harnisch abgewiesen, ja, so bin ich. Hart, aber gerecht. Persönliche Präferenzen stehen immer in sekundärem Verhältnis zu den oberen Direktiven. Diese Grundregel muss man befolgen, wenn man erfolgreich sein will, egal ob in der Personalabteilung eines renommierten Schuh-Unternehmens oder im türkischen Kiosk nebenan. Gut, die Türken waren jetzt ein schlechtes Beispiel, wie man schließlich weiß, ist dieser Menschenschlag alles andere als loyal und verlässlich und dementsprechend auch weder erfolgreich noch auf eine andere positive Weise am Weltgeschehen beteiligt, aber ich schweife ab…
Nachteile meines Berufs gibt es wenige, aber leider doch gravierende, die aber – und das betone ich wirklich an dieser Stelle mit äußerster Überzeugung – für mich absolut tragbar und nicht der Rede wert sind. Zum einen ist da die hohe Verantwortung, die mancher einer nicht so locker wegstecken würde wie ich es tue, zum anderen die immense arbeitszeitliche Belastung, der ich mich aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens ausgesetzt sehe. Für mich persönlich stellt der zweite Punkt keine große Problematik dar, allerdings sahen die Dinge für meine Frau… Pardon, meine Ex-Frau etwas anders aus. Ich war ihr wohl nicht… präsent genug, weshalb sie sich gezwungen sah, sich einen Liebhaber anzulachen. Einen Spanier mit Schnurrbart, das absolute, und in meinem Falle fatale Klischee eines Don Juan. Ein Unsympath der klassischen Schule, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben. Mit rosigen Wangen reichte sie die Scheidung ein.
Mir war es recht, wir waren ohnehin nur noch Eheleute im vertraglichen Sinne, wenn Sie verstehen. Ich spreche auf die ehelichen Pflichten meiner Frau an, die sie schon seit vielen Jahren in nicht mehr tragbarem Maße vernachlässigt hatte. Wissen Sie, die Liebe, von der die Ehe eine Unterabteilung darstellt, ist in allen menschlichen Kulturen ein Vertragsverhältnis, dass sich auf den gleichzeitigen Verzicht sowie Genuss von Macht bezieht, ein Geben, Nehmen, Verzichten und Ausüben sozusagen, auf vertraglicher Basis festgehalten. Wenn sich nun ein Vertragspartner nicht an die zuvor abgesprochenen Einigungen hält und, sagen wir mal, sich Kopfschmerzen simulierend vor dem Dienst drückt, dann führt dies zu Spannungen zwischen den einzelnen Parteien. Kommt dieses „Krankfeiern“ in wiederholtem Maße vor, ist die fristlose Entlassung quasi vorprogrammiert, da kann man dem Arbeitgeber keinen Vorwurf machen.
Jedenfalls schlafe ich um einiges besser, seitdem meine Frau und ich getrennt leben. Sicher, auch in meinem Alter hat man noch gewisse Gelüste, aber ich benötige nicht mehr die Verbindung zwischen dem Körper und einem Gefühl der Sympathie, um Freude an körperlicher Vereinigung zu empfinden. Unter uns gesprochen war ich nie ein besonders engagierter Vertreter der weitverbreiteten Auffassung, dass Liebe im Bett nur mit Liebe im Herzen durchführbar sei. Nein, im Gegenteil. Es kann manchmal unglaublich befreiend sein, seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf rein körperlicher und geschäftlicher Ebene abzuwickeln. Ich halte ja nicht viel von der asiatischen Politik und vor allem mit asiatischer Kunst kann ich rein gar nichts anfangen, aber ich muss auf der anderen Seite zugeben, dass ich bisher stets seriös und befriedigend von asiatischen Liebesdamen bedient worden bin. Hohe Qualität bei einem soliden Kosten-Leistungs-Verhältnis. Sicher, einige Damen erscheinen mir oft etwas zu jung für den von ihnen gewählten Beruf, aber man sagt ja auch, dass die asiatischen Frauen, vor allem die Thailänderinnen recht früh reifen. Eine zwölfjährige Thaifrau hat meist eine körperliche Reife wie eine achtzehnjährige Deutsche, wenn sie auch nie an das intellektuelle Potenzial ihres europäischen Pendants heranreichen wird. So gesehen ist es also nicht verwerflich, auch mal über die Konventionen und Grundsätze gewisser Länder hinwegzusehen und einfach nur einer schönen, entspannenden Freizeitaktivität nachzugehen, da pflichten sie mir sicher bei. Natürlich würde ich das bei deutschen Dienstleisterinnen etwas strenger beurteilen, zumal das deutsche Gewerbe auch meist höhere Kosten-Leistungs-Differenzen aufzuweisen hat und sich hier schnell Unstimmigkeiten ergeben können. Ich werde sicher noch längere Zeit die Dienste unserer asiatischen Weltnachbarn in Anspruch nehmen, ich bin da so was wie ein Fan erster Stunde.
Meine Ex-Frau weiß gar nicht, was für eine Befreiung die Scheidung für mich war. Unsere gemeinsame Tochter fiel jedoch leider den Manipulationskünsten meiner geschiedenen Frau zum Opfer. Martina spricht kein einziges Wort mehr mit mir und sie ist der festen Überzeugung, dass ich Schuld an der Trennung sei. Frauen sind so leicht zu überzeugen, und besitzen gleichsam ein ungeheures manipulatives Potenzial. Diese Diskrepanz wird mir wohl für alle Zeiten ein Rätsel bleiben. Aber vielleicht ist es auch ganz gut, dass Martina nicht mehr alles von ihrem Vater mitbekommt. Über die regelmäßigen Besuche der thailändischen Damen in meinem Appartement wäre sie vermutlich nicht sehr erfreut. Sie ist zwar bereits siebzehn, aber mit sexuellen Inhalten möchte ich sie nicht verknüpft sehen, dafür ist es vermutlich immer zu früh. Mich stört daher erheblich, dass sie der Laissez-Faire-Politik ihrer Mutter ohne Rückhalt ausgeliefert ist. Wer weiß, zu welchen Perversitäten sie ihre Mitschüler bereits gezwungen haben, man hört ja so einiges. Die Jugend ist nun mal nicht mehr das, was sie zu meiner Zeit gewesen ist. Respekt ist für die meisten Kids ein Fremdwort. Da wird gerüpelt und geschimpft was das Zeug hält, Rentner werden zusammengeschlagen und gleichaltrige unschuldige Mädchen vergewaltigt und das Ganze dann hinterher auch noch voller Stolz im Internet präsentiert. Da wird einem schlecht, wenn man so was hört! Was ist nur aus unseren moralischen Grundsätzen geworden, die unser Land so stark und lebenswert gemacht haben? Der negative ausländische Einfluss ist nun mal nicht mehr länger von der Hand zu weisen. Wir haben unsere Pforten zu lange offen stehen gehabt, nun bevölkern lüsterne Dämonen unser schönes Land und vergiften unsere Jugend mit Dummheit und Perversion! Manchmal könnte ich Amoklaufen, wenn ich so was sehe und höre, die Nachrichten sind ja voll von solchen Geschichten. Hakan, 17, vergewaltigte seine Lehrerin auf dem Schulhof, Rashid, 13, verkaufte Drogen an seine Mitschüler. Man sollte all diese minderjährigen Schwerverbrecher wieder zurück in ihre Heimat schicken. Da würden sie dann sehen, wie gut sie es hier im schönen Deutschland hatten.
Aber ich bin ja kein Politiker. Sollen die sich darum kümmern. Ich habe ein erfolgreiches Unternehmen zu stützen, mit all meiner mir zur Verfügung stehenden Kraft. Wer weiß, wie lange ich noch zu leben habe, vielleicht zehn, fünfzehn Jahre. Die möchte ich nutzen, genießen und auskosten. Das Leben ist zu kurz, um es einfach an sich vorbeirauschen zu lassen. Ich werde als zufriedener Mann sterben, der stets das Richtige für sich und seine Mitmenschen getan hat und das erfüllt mich mit Stolz und Genugtuung. Ich habe mir sogar schon meine letzten Worte aufgeschrieben, auch wenn es vielleicht noch etwas zu früh ist, aber man weiß ja nie. Auf meinem Grabstein wird stehen:
„Und seine letzten Worte waren: Lebe für nichts, oder stirb für etwas.“
Na, ich sehe, mit der mir von Gott verliehenen Menschenkenntnis, dass Sie beeindruckt sind, nicht wahr? Ihnen kommt der Satz bekannt vor? Nein, das muss ein Missverständnis sein. Ich habe da sehr lange dran getüftelt, jetzt stehlen Sie mir nicht meine Lorbeeren! Ha, war nur Spaß, aber ich bin mir sicher, dass sie diesen Satz noch nie zuvor gehört haben. Wahrhaftige Größe bemerkt man erst, wenn man ihr gegenübersteht und erkennt, wie winzig man im Grunde ist. Guten Abend, es hat mich gefreut, Ihnen von mir zu erzählen. Ach, und… ihre Sekretärin ist wirklich ein hübsches Mädel, könnte ich vielleicht ihre Telefonnummer haben? Ginge das? Sehr freundlich. Einen angenehmen Tag!

Annas Titten

 
Ein weiser Mann hat mal gesagt, dass man erst über eine Frau hinweg ist, wenn man sich nicht mehr an ihre Titten erinnern kann…

Es ist kalt, der Winter scheint kein Ende nehmen zu wollen. Hin und wieder schneit es sogar und der Wind heult in regelmäßigen Böen durch die Häuserschluchten, wie ein gieriger, unsichtbarer Dämon auf der Suche nach warmem, pulsierendem Fleisch.
„Was für ein verficktes Dreckswetter!“, flucht Tim und rollt die Bierflasche zwischen seinen behandschuhten Händen, als würde sie dadurch Wärme produzieren. „Es ist März und wir frieren uns den Arsch ab. Scheiß Klimaerwärmung, die Welt gibt langsam aber sicher den Geist auf.“
Kai nickt und nimmt einen Schluck aus seiner Flasche. Er blickt die menschenleere Straße hinunter, dann eine Häuserwand empor, die von leuchtenden Fenstern besät ist, hinter denen Menschen in beheizten Zimmern sitzen. Die kleine Mauer, auf die sie sich gesetzt hatten, gibt eine bleierne Kälte ab, die ihm bis in den Rücken fährt.
„Wir sollten gleich wieder irgendwo rein gehen.“, schlägt Tim vor. „Vielleicht ruf` ich mal Alex an und frag, wo die sind.“
„Lass.“, erwidert Kai nüchtern. „Anna ist dabei.“
„Ach, komm schon!“, raunt Tim in an. „Du warst nicht mal drei Monate mit der zusammen, jetzt tu nicht so, als hättest du dein Herz verloren!“
„Ich hab` einfach keine Lust sie zu sehen, okay?“ Kai starrt in eines der erleuchteten Fenster in dem Haus gegenüber. Eine Frau erscheint schemenhaft hinter dem Glas und zündet ein paar Kerzen an, die direkt am Fenster stehen. Vermutlich sind sie noch von Weihnachten übrig geblieben.
„Du musst ja nicht mit ihr reden, Mann. Setz dich einfach hin, bestell was zu trinken und ignorier` sie.“
„Ignorier` sie…“ wiederholt Kai gleichgültig. „Der bloße Gedanke an sie macht mich schon wahnsinnig. Ich sehe es schon vor mir, das klassische Gespräch: Na, wie geht’s dir? Alles wieder ok? Ja, ja, alles super, das Leben ist geil, alles viel besser, seitdem wir nicht mehr ficken. Ich fick jetzt viel geilere Fotzen als dich, ich brauch dich nicht, bla, bla, bla…“
Tim muss lachen. „Ja, das würdest du sagen.“
„Nein, würde ich nicht. Ich würde das Theater mitspielen. Ein guter Freund sein und so tun, als wäre alles bestens.“
„Ist es das denn nicht?“ Tim wirft seinem Freund einen besorgten Blick zu, folgt aber dann dem seinen und starrt zu dem von Kerzenlicht umrahmten Fenster hinauf.
„Ach, keine Ahnung.“, antwortet Kai resigniert und wendet seine Aufmerksamkeit wieder der vereisten Straße zu; den Partikeln von Schmutz und Schnee, die sich auf dem schwarzen Asphalt miteinander vermengen.
„Ich weiß nicht, was ich denken soll. Gibt es eine Anleitung, wie man sein muss, was man tun muss, was nicht? Wir alle tun so, als gäbe es da diesen Master-Plan, diese Hausordnung, an die man sich zu halten hat, wenn man ein „sinnvolles“ Leben führen will. Ich mein`, was soll das alles eigentlich? Jeden Tag aufstehen und das Gleiche tun, immer wieder aufs Neue?  Wofür leben wir? Wofür lohnt sich das alles? Liebe? Macht? Oder einfach nur zur Befriedigung unserer Triebe, unseres Hungers? Um am Leben zu bleiben, weil Leben kostbar ist?“
Tim schüttelt den Kopf. „Du bist in einer Scheißphase gerade. Du kommst schon wieder klar. Die Zeit…“
„…heilt alle Wunden, komm mir nicht mit der Kacke. Du hast auch keine Ahnung, genau wie alle anderen. Genau wie ich selbst! Du machst einfach immer weiter, ohne zu hinterfragen.“
„Hinterfragen bringt auch nichts. Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen.“
„Und wenn ich sie mir trotzdem mache?“ Kai steht auf und schlägt sich den Schmutz von der Hose. „Wenn ich verstehen will… wissen will, ob es einen Sinn gibt in den Dingen, die wir tun? Wenn ich den Master-Plan nicht akzeptiere, meinen Hunger und meine Geilheit nicht stille wie ein Tier? Wenn ich auf die Liebe und den ganzen Ballast scheiße, auf Moral und Gemeinschaft?“
„Dann landest du im Knast oder in der Psychiatrie. Die Regeln sind ganz einfach.“
„Die Regeln…“, wiederholt Kai spöttisch. „Und wer macht diese Regeln? Menschen? Götter? Egoisten? Humanisten?“
„Was weiß ich, was du meinst, Alter. Allah macht Regeln. Die Bundeskanzlerin macht Regeln. Es gibt immer irgendwen, der verfickte Regeln aufstellt.“
„Und an die hält man sich dann einfach. Warum? Weil sie da sind? Weil man sonst weggesperrt wird? Also befolgen wir alle nur diese Regeln, weil wir Angst vor Strafe haben. Das ist erbärmlich.“
„Jeder Mensch hat Angst, so einfach ist das.“ Tim zuckt mit den Schultern. „Diese Regeln nehmen uns die Angst, weil wir wissen, was wir tun müssen, um dazuzugehören. Man muss einfach nur tun, was alle tun, dann gibt’s auch keinen Ärger.“
Kai muss lachen. „Tun, was alle tun? Das kann nicht dein Ernst sein. Du machst genauso wenig Sinn wie alles andere in dieser Welt.“
„Was wirst du denn tun, wenn es diesen Sinn nicht gibt, von dem du redest?“ Tim nimmt den letzten Schluck aus seiner Flasche und wirft sie hinter sich in einen ungepflegten Vorgarten. „Was ist, wenn du endlich deinen Beweis findest, dass alles willkürlich und sinnlos ist, dass es keine Ordnung oder so was im Universum gibt? Was machst du dann? Dich umbringen? Na, dann los. Du machst es dir einfach. Du stiehlst dich mit der Ausrede aus dem Leben, dass wir alle eine Lüge leben, dabei weißt du selbst nicht, was Lüge und was Wahrheit ist. Du bist ein Träumer, Kai. Eine Heulsuse. Beweis mal, dass du Eier hast und nimm das Leben, wie es ist!“
Kai lacht erneut, doch diesmal ist es ein freieres, freundlicheres Lachen. „Beweis mal Eier?“, wiederholt er genüsslich. „Du bist ein Idiot.“
„Was ist denn dein Problem, du Fucker? Wir leben hier, auf der guten Seite dieses gottverlassenen Planeten, haben Kohle, haben Essen, können saufen und ficken, wie wir lustig sind. Und du sitzt hier und bist traurig, weil dich diese Fotze von Anna abgeschossen hat.“
„Jetzt hör mal damit auf!“ Kai ist jetzt wirklich wütend. Seine Hände zittern und seine Finger umklammern die eiskalte Flasche mit fester Gewalt. „Es geht nicht um Anna oder sonst wen. Es geht darum, dass das Leben das wir führen nur Sinn macht, wenn wir nicht darüber nachdenken. Das kann doch keine Lösung sein!“
„Jetzt beruhig dich mal wieder. Ich wusste nicht, dass du`s so ernst meinst.“
Kai wendet sich von seinem Freund ab und leert die Flasche in einem Zug.
„Auf einen Tag folgt ein anderer, der dem ersten aber vollkommen gleicht. Und so reihen wir unsere geklonten Tage aneinander und versuchen ihnen, mit diversen Aktionen einen Charakter zu geben, um sie hinterher, in unserer Erinnerung, besser unterscheiden zu können. Aber unsere Erinnerung ist verseucht von Lügen, die wir selbst erfunden haben. Wir erfinden coole Stories und alles verschwimmt zu einem großen, sinnvollen Konzept, während das tatsächlich Erlebte verblasst. Alles ist von uns selbst konstruiert. Ich konstruiere nicht mehr. Ich will nicht mehr lügen. Ich höre einfach auf damit.“
„Mach was du willst. Wenn du meinst, dass es dir was bringt.“ Tims Stimme verhallt in der eisigen Stille der Seitenstraße. Noch einige Minuten lauschen die jungen Männer dem weit entfernten Rauschen des Verkehrs, den Geräuschen aus den Häusern um sie herum.
„Sollen wir noch ins Kino?“ schlägt Tim schließlich vor. „Um Eins läuft „Prometheus“ im Alpha.“
Kai nickt und wirft die leere Flasche zu Tims in den fremden Vorgarten.
„Yeah, scheiß drauf. Kopf aus, Käsesoße rein. Das verfickte Leben ruft.“
„Kopf aus, Nachos rein?“ Tim legt seinem Freund eine Hand auf die Schulter und lächelt ihm väterlich zu. „So gefällst du mir, mein Sohn.“
„Ach, fick dich.“, antwortet Kai und muss grinsen, weil Tim so bescheuert aussieht. „Komm, lass gehen…“

Kai, Pissrinne, rauschendes Wasser. Er ist allein auf der Herrentoilette des Kinos. Das Bier hat ihn keine zwanzig Minuten des Films schauen lassen, als es sich auch schon wie eine wütende Meute volltrunkener Penner in einer Bahnhofsvorhalle Richtung Ausgang bewegt hat und sich nun wie ein gelber Fluss in das sprudelnde Rinnsal des weitgestreckten Pissoirs ergießt.
Kai denkt nach. Er denkt an den Film, an Aliens, an Anna, an seinen Bruder, an den Tod, an Hemingway, dann wieder an den Film und wie sehr er ihn bereits langweilt. Gestellte Situationen, gestellte Dialoge, gestellte Bilder, gestelltes Leben.
Was ist schon nicht gestellt in dieser von Menschen konstruierten Realität?
Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ein klobiger Südländer mit extrem dünnrasiertem Backenbart betritt das WC. Er wirft Kai einen müden, entrückten Blick zu, stellt sich ans andere Ende des Pissoirs und fummelt an seiner Gürtelschnalle rum. Kai wendet seinen Blick wieder seinem Schwanz und dem gelben Pissefluss zu, der aus ihm hinaus in die Wirklichkeit sprießt.
„Scheiselienfilm, oda?“ fragt der Südländer ihn plötzlich und blickt ausdruckslos, seine lange, braune Nudel in der massigen Hand, zu ihm hinüber.
„Ja, Scheißfilm…“ antwortet Kai tonlos. Der Südländer nickt abwesend.
„Neksmal isch geh Pornokino.“ Der Südländer grinst schief und zwinkert Kai zu. „Bessa Titen as Elienscheise.“
Kai nickt ausdruckslos. „Ja, besser Titten…“
Zeit zu gehen. Er packt seinen Schwanz ein, wäscht sich die Hände und will das WC verlassen als der Türke ihm noch etwas hinterher ruft, was sich wie „Du geiles langes Nudel, wenn wils kom mit Pornokino, wir wixe susamme!“ anhört. Kai schüttelt angewidert den Kopf und macht sich auf Richtung großem Kinosaal.
„Die Welt macht einfach keinen Sinn.“, murmelt er in sich hinein, nicht ohne ein leichtes Grinsen unterdrücken zu können.

„Und?“ flüstert Tim, nachdem Kai an seinen Platz zurückgekehrt ist. „Wie findste den Film bisher? Hast echt ein paar coole Szenen verpasst.“
Kai zuckt mit den Achseln. „Irgendwie lahm das Ganze. Nächstes Mal geh ich ins Pornokino. Titten sind besser als Alienscheiße.“
Tim lacht. „Kann sein. Aber noch besser sind Alien-Titten! Wart mal ab, vielleicht bekommen wir ja noch ein paar zu Gesicht.“
Kai grinst. „Ja, vielleicht. Er nimmt einen Schluck Bier aus der feuchten Flasche, betrachtet das wirre Treiben auf der Leinwand und denkt an Annas Titten. Es waren schöne, wenn auch recht kleine Titten; symmetrisch, wohlgerundet, aufreizende, nicht allzu auffallende Nippel, die selbst bei extremer Hitze noch fest und spitz waren. Es waren Titten, die man hätte malen müssen. Ein Da Vinci hätte sich ihrer annehmen sollen oder ein Botticelli. Titten für die Ewigkeit.
Wäre sie nicht so eine verklemmte, rechthaberische Fotze gewesen…, denkt Kai, während auf der Leinwand ein menschlicher Kopf in einem Raumanzug von einem parasitären Alien-Wurm gesprengt wird, … ich würde sie wohl niemals vergessen.
Dann denkt er wieder an seinen Bruder, den toten, verwesenden Bruder unter den vielen Schichten Erde, er denkt an Affen aus dem Zoo, die vergnügt in die Hände klatschen, wenn sie einen Witz gerissen haben, er denkt an die Klimaerwärmung, an die Atomraketen-Drohung Nordkoreas, an Kinderschändung und McDonalds Happy Meals. Er denkt an Sartre, Camus und Pornokinos, an Ehemänner, die ihre Frauen betrügen, an Kinder, die andere Kinder in Sandkästen verhauen, er denkt an Schokoladeneis mit Sahne, an Bundesjugendspiele und Karate-Kid, an Wodka Ahoi und überteuerte Nutten, an Fernsehshows und Happy-Ends, an Klopapier und Fail-Compilations, an Holocaust und Freibier-Parties. Er denkt an Menschen, die andere Menschen ficken, in den Arsch, in den Mund, überall hin. Er denkt an verliebte Paare, an Sonnenuntergänge am Strand, an Massenmörder und Amokläufer. Er denkt an Videospiele, an Selbsthilfegruppen, an Versicherungen und Zeitungsverkäufer.
An all diese Dinge und noch viele mehr denkt er, gleichzeitig, sie miteinander vermischend, während vor ihm auf der Leinwand Angst und Gemetzel simuliert werden und um ihn herum schweigende, Popcorn knabbernde Zuschauer sitzen. Alles verschwimmt zu einem einzigen bunten Brei, einer Galaxie aus Vorstellungen und Farben, aus Materie und Anti-Materie. Die Welt ist keine Kugel mehr, sondern ein langanhaltender, ohrenzerfetzender, in allen möglichen Frequenzen vibrierender Furz.
Dann denkt er wieder an Annas Titten und muss plötzlich so laut auflachen, dass sich alle zu ihm umdrehen.

Plastik - Worte

Der grauhaarige Mann bückt sich, um die zerkratzte Disc aufzuheben. Sie ist mit schmutzigem Schnee bedeckt und kalt wie Eis. Keine Inschrift, kein Hinweis. Er schiebt die Disc in seinen Transmitter und zu seiner Überraschung funktioniert sie noch. Auf dem Display erscheinen Buchstaben, die sich zu Worten und schließlich zu Sätzen formen. Das Display erleuchtet das müde Gesicht des Mannes. Um ihn herum ist es dunkel, eine kalte Nacht weht durch die vereisten Gassen. Es ist ruhig. Er beginnt die Nachricht zu lesen:

...wie sehr sich deine Gedanken wandeln. Als trügest du mehrere Personen in dir. Wie Ankoor gestern sagte, dass er sich beizeiten vor sich selbst fürchte, dass er sich selbst nicht wiedererkenne, wenn ihn bestimmte Situationen übermannen. Vieles in uns ist ein Rätsel, ein Rätsel, das niemals gänzlich ergründet werden kann. Man soll nicht so viel über alles nachdenken, sagen die Leute. Zuviel denken schadet der Seele. Aber was, wenn man dieses Denken nicht kontrollieren kann, wenn man nicht pausieren, das Spiel im „Unreflektierten Modus“ genießen kann? Du musst immer alles auseinander nehmen. Nur im Sezieren findest du Ruhe. Und dann doch wieder wühlt es dich auf, weil du anstelle von Antworten nur noch mehr Fragen findest. Du hast Angst davor, zu weit zu flüchten, allein zu sein. Aber die Gesellschaft der meisten Menschen langweilt dich, oder meist noch schlimmer, sie belastet dich. Du bist nicht allein. Du hast Freunde, für die du alles geben würdest. Du nimmst dir nur zu vieles zu Herzen. Nicht jede Bekanntschaft muss eine tiefgehende sein. Du musst lernen, Menschen zu nutzen. Nicht auszunutzen, das wäre falsch und ungerecht. Aber wie sie auch deine Stärken zu ihrem Vorteil nutzen, so musst du lernen, auch die ihren für dich zu gebrauchen. Das ist kein verwerfliches Handeln. Keine Scheu. Es erfordert kein schlechtes Gewissen. Solange sie bereit sind, dir ihre Kraft zu geben, verwende auch du deine eigene für sie. Ist die Quelle eines Tages erschöpft, wird sich die Bekanntschaft in Unbekanntschaft zurück verwandeln. Dann trifft man sich nach Jahren im Kybernet-Express oder auf einer Prozak-Party wieder, spricht von alten Zeiten und sagt:
„Lass uns doch mal wieder was zusammen machen!“
„Ja, gute Idee!“
Aber man trifft sich nicht mehr, es ist nur hohles Gerede, wie das Gros an Worten, das wir Menschen miteinander wechseln, wenn wir uns nicht kennen oder nicht nachdenken oder nicht gerade einen Sinn suchen in allem. Small-Talk. Manchmal muss es nun mal Small-Talk sein. Aber nicht immer. Du kannst auch Nein sagen, wenn es dir nicht zu Schaden kommt. Konflikte, die dich hinterher belasten könnten, müssen nicht eingegangen werden. Eine Ausrede reicht. Eine geschmeidige Lüge und alle lassen dich in Frieden.
Du genießt das Alleinsein. Du weißt dich zu beschäftigen, dich zu begeistern. Aber einsam sein, das willst auch du nicht. Deshalb halte dich an deine Freunde, deine wahren, lieben, wichtigen Freunde, die nicht zahlreich, aber verlässlich und wertvoll sind. Halte dich an deine Freunde, und der Rest der Menschenbande wird nur Scharade sein.
Black Phantoms in the night,
they talk, they chat, they chit-chat,
chit-chat, fuck-chat in the darkness,
all night, all day,
all day, all night,
for all time, until they parish
and the world, the old mother,
closes their eyes.
Mach mit, rede sinnleer, fließe mit in der Woge des Nicht-Denkens, nur für eine Weile. Und wenn du heim kommst, werden alle Worte vergessen sein, weit entfernt, und dich nicht mehr belasten. Plastik-Worte, Puppen-Worte.
Erwecke das Chrysalid in dir...
 
Der Mann kennt diese Worte. Er hat sie selbst verfasst, viele Jahre vor dieser kalten Nacht, die ihm so viel Unheil eingebracht hat. Wie kommen nun diese Zeilen, die er als junger Mensch in sein Tagebuch geschrieben hat, durch all die Jahre, auf eine verkratzte Disk gebannt, zurück zu ihm? Wer hat dieses seltsame Spiel des Schicksals, des Zufalls veranlasst? Was sollte ihm diese Botschaft sagen?
Gedanken an seine Freunde, all die Menschen, die er in seinem Leben zurückgelassen hatte, strömen auf ihn ein.
"Plastik-Worte..." murmelt er in die Nacht hinein. Sein Atem ist kalter Rauch, der sich in der Dunkelheit verliert.
"Toiletten-Weißbach-Schimmel-Usurpator-Handelsblatt..."
Er steckt die Diskette in seine Manteltasche, wendet sich um und geht nach Hause.

Ein ruhiges Leben

Es war ein ruhiges Leben, das Leben des Sandro Meyer. Ein überschaubares, ein friedliches, vielleicht auch ein langweiliges Leben. Aber es hatte ihm immer gefallen. Er war nie unzufrieden, neidisch oder strebsam gewesen, sondern stets glücklich mit dem, was er hatte. Er wünschte sich nie etwas, denn er hatte ja alles, was man für ein gutes Leben brauchte. Eine Arbeit, eine Frau. Einen Sohn. Den Fernseher.
Seine Frau Lisa hatte ihn immer gefragt, was er sich denn zum Geburtstag wünsche und er hatte immer geantwortet: „Nichts. Denn ich habe ja alles.“ Lisa fand es zwar schön, dass ihr Gatte so glücklich und zufrieden war, doch sie wusste nie, was sie einem Mann, der schon alles hat, schenken konnte. Sie fühlte sich oft wertlos und einsam mit ihren Schuldgefühlen, dem Neid auf das Glück und den Erfolg anderer, ihrer Unzufriedenheit mit sich selbst und vor allem mit ihrem Körper. Sie hasste das Älterwerden. Sie hasste ihren Beruf. Und manchmal, da hasste sie auch ihre Familie, ihren teilnahmslosen Mann, ihren schweigsamen, introvertierten Sohn. Doch all ihr Hass war vergessen, wenn sie abends nach einem harten, langen, grauen Arbeitstag ein Glas Wein trank, das monotone Gemurmel des Fernsehers im Hintergrund, der Mann und Kind wie ein Hypnotiseur in seinen Bann zog. Sie saß dann oft lange Zeit am Küchentisch und rauchte und las und wenn sie nicht las, dann dachte sie nach. Sie konnte nicht aufhören mit dem Denken. Es war ihre Passion, auch wenn sie sich manchmal nach einer Pause sehnte. Doch Pausen, die gab es nicht. Ihr Kopf stand niemals still. Er war wie ein Karussell, das sich auf ewig im Kreis drehte und die Welt außerhalb zu bunten Schlieren verschwimmen ließ.
Manchmal beobachtete sie ihren Mann vom Türrahmen des Wohnzimmers aus. Heimlich schaute sie ihm dann beim Fernsehen zu und es überkam sie diese Traurigkeit, wie sie einen immer befällt, wenn man das Gefühl hat, etwas Großartiges und Wichtiges verpasst zu haben. Sie liebte ihren Sandro. Sie liebte ihn sehr. Aber tief in ihrem Herzen wusste sie, dass sie einen Fehler begangen hatte, als sie damals Ja gesagt hatte.
Das war auf Sizilien gewesen, im Mai 1991. Sie erinnerte sich immer gern an jene Zeit zurück. Dann spürte sie jedes Mal aufs Neue den kühlen, weichen Sand zwischen ihren Fingern, hörte das sanfte Rauschen des Meeres und roch die frische, salzige Luft der Küste. Sie erinnerte sich an seine zarten Finger, die ihren Nacken kraulten, während sie gemeinsam der blutigen Sonne zusahen, die zwar langsam, aber letztlich doch viel schneller als sie es erwartet hatten, im dunkelblauen Horizont versank. Sie erinnerte sich an seinen Kuss, der sich damals wie Feuerwerk in ihrem Herzen angefühlt hatte. Die Küsse waren zu jener Zeit anders als die Küsse heute, fand sie. Heute waren es einstudierte Gesten, die aus Pflichtgefühl und Gewohnheit abgespult wurden. Damals jedoch war jeder Kuss ein Kunstwerk für sich und mit jedem Mal, wenn sich ihre Lippen berührten, hatte sie ihn mehr geliebt.
Als die Sonne untergegangen war, fragte sie Sandro, ob sie Lust auf einen Strandspaziergang hätte und sie hatte gelächelt und Ja gesagt. Sie waren den Strand hinunter spaziert, weiter und weiter und einfach immer weiter, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass sie ja den ganzen Weg wieder zurück marschieren mussten. Als sie schließlich an einen Punkt kamen, an dem sie ausschließlich vom Licht des Mondes und der Sterne beleuchtet wurden und keine Menschenseele mehr in Sicht war, hatte Sandro sie erneut geküsst und ihr Haar gestreichelt. Sie hatten sich geliebt im feuchten Sand unter einer Kuppel von Milliarden Sternen und als sie nebeneinander in den Armen lagen, hatte er sie gefragt, ob sie seine Frau werden wolle. Es war spontan gewesen, einfach so. Die einzige unüberlegte Aktion in Sandros Leben.
Lisa hatte Ja gesagt und dann hatte sie geweint und dann gelacht und immer wieder Ja gesagt. Sie hatte Ja gesagt.
Tränen erschwerten ihr oft die Sicht, wenn sie so in Erinnerungen versunken im Türrahmen stand und ihrem Mann und Sohn beim Fernschauen zusah. Dann schüttelte sie meist den Kopf und ging zurück zu ihrem Wein, dem Buch und den Zigaretten. Doch lesen wollte sie dann nicht mehr. Und auch nicht trinken und nicht rauchen.
Leben wollte sie, doch das ging nicht mehr.

Lisa hatte es aufgegeben, mit ihrem Mann über ihre Gefühle, Gedanken, Ängste und Sorgen zu sprechen. Sie hatte es nicht etwa aufgegeben, weil sie ihm nicht vertraute oder er ihr kein Interesse zuwies. Nein, das war nicht Sandros Art, einfach wegzuhören und sich nicht zu kümmern. Sandro war ein guter Mensch, der es nicht ertragen konnte, wenn es anderen schlecht erging. Und genau das war Lisas Problem. Wenn sie ihrem Mann von ihren Sorgen berichtete, waren es nun Lappalien wie die Geschichte vom Chef, der ihr keinen Urlaub geben wollte oder die von der dicken, unsympathischen Frau, die ihr einen Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hatte oder aber auch gewichtigere Dinge wie ihre Depressionen oder der meist vergebliche Versuch, ihre innere Leere in sanften, aber unmissverständlichen Worten auszudrücken, dann war Sandro stets bemüht, das Problem zu lösen, es anzugehen, es zu bekämpfen. Er konnte es nicht ertragen, seine Frau leiden zu sehen. Es zerfraß ihn innerlich und er gab sich insgeheim selbst die Schuld, weil er es nicht vermochte, seine Frau glücklich zu machen. Doch es war nicht seine Schuld. Es war nie seine Schuld, denn die Schuld, die spürte dann nur Lisa, die sich über sich selbst ärgerte, dass sie ihren Mann so unter Druck setzte. Sie konnte es nicht ertragen, wenn Sandro aus der Ruhe kam, wenn er sich sorgte und sich Vorwürfe machte.
Deshalb hatte sie eines Tages beschlossen, ihn nicht mehr in ihre Gedankenwelt einzulassen, auch wenn sie sich oft einsam in ihr fühlte und verlassen und traurig. Es war der Tag gewesen, als Sandro später von der Arbeit nach Hause gekommen war und berichtet hatte, dass er eine Beförderung abgelehnt hatte, weil er keine Verantwortung übernehmen wollte. Sie hatte sich furchtbar über ihn aufgeregt und ihn einen Versager und Angsthasen genannt, weil sie einfach nicht verstehen konnte, warum ihr Mann keinen Ehrgeiz hatte und keine Ziele und keine Wünsche und keine Sorgen und Ängste. Doch Sandro hatte Angst. Sehr viel Angst sogar. Und die schlimmste all seiner Ängste war, seine Frau zu verlieren. Also hatte er sich entschuldigt und versprochen, noch am nächsten Tag zu seinem Chef zu gehen und die Beförderung anzunehmen. Doch wie sich herausstellte, hatte sich dieser bereits für einen anderen Kandidaten entschieden und die Stelle war bereits vergeben.
Lisa und Sandro hatten nie wieder ein Wort über diese Sache gewechselt und Lisa war es von nun an gleich, was ihr Mann auf der Arbeit und auch sonst erlebte, denn er erlebte nicht viel, außer auf der Arbeit und Zuhause und da war sie meistens bei ihm und konnte sehen und hören, was er trieb und was er nicht trieb.
Nein, mit ihrem Mann konnte sie nicht reden, außer über organisatorische Dinge und das Fernseh-Programm. Wenn sie Gäste bei sich hatten, unterhielt Sandro diese meist mit furiosen Geschichten, die ihm seine Arbeitskollegen berichtet hatten. Sandro war sehr beliebt, denn er strahlte Zufriedenheit und Freude aus, wenn er erzählte oder zuhörte oder mit seinem Sohn sprach oder mit seiner Frau. Lisa und Sandro hatten nicht oft Besuch, aber wenn Gäste kamen, dann blieben sie lange und am Ende hatten alle rote Wangen vom Wein und vom vielen Lachen. Doch wenn die Gäste auf dem Heimweg waren, herrschte Schweigen im Haus, jedenfalls bis der Fernseher eingeschaltet wurde, der dann bis früh morgens lief, wenn die Sonne bereits durch die Vorhänge kroch und ihr warmes, helles Licht das künstliche Flimmern der bewegten Bilder verdrängte.

Der stillschweigende Pakt der beiden Eheleute, sich von schweren Themen fernzuhalten, hielt viele Jahre an. Ihr Sohn wurde erwachsen, er reiste ins Ausland, kehrte zurück, schloss sein Abitur ab, fand eine Ausbildungsstelle als Verlagskaufmann, schloss auch diese ab und offenbarte seinen Eltern eines Abends, dass er ausziehen und seinen eigenen Haushalt führen wolle. Dies traf Sandro und Lisa hart. Sie hatten sich schon immer vor dem Tag gefürchtet, an dem es offensichtlich sein würde, dass ihre Aufgabe als Eltern für ihren Nachwuchs zu sorgen beendet sei. Nicht weil sie es ihrem Sohn nicht wünschten auf eigenen Füßen zu stehen oder an ihm klammerten, sondern weil sie Angst hatten, wieder nur zu zweit zu sein. Lisa und Sandro verband der Alltag. Wenn dieser nun zusammenbräche, was sollten sie dann mit sich anfangen? Wie sähe ihr Leben aus ohne die Verpflichtungen des Elterndaseins?
Lisas Furcht vor der neuen Situation war um vieles größer, als die Bedenken ihres Mannes. Sie hatte dunkle Träume in jener Zeit, aus denen sie schweißgebadet erwachte, mit pochendem Herzen und sich vor einer unüberwindbaren Mauer an Gefühlen gegenüber sah. Wut, Einsamkeit, Trauer, Scham. Vor allem überwältigte sie in jenen Nächten oft das kaum ertragbare schlechte Gewissen, das sie ihrem Mann gegenüber verspürte. Ein Gefühl des Hintergehens, der Täuschung.
Doch ihre Bedenken waren vollkommen unbegründet. Alles lief beinahe wie bisher, als der Auszug vollzogen und der Nachwuchs aus dem Hause war. Die Jahre vergingen und das Ehepaar wurde immer schweigsamer und schweigsamer. Sandro hatte sich schon längst damit abgefunden, ein ruhiges, überschaubares Leben zu führen. Es kostete ihn kaum Mühe, seine Bedürfnisse mehr und mehr zurückzuschrauben und sich mit dem zu begnügen, was er hatte. Manchmal sehnte er sich nach der Nähe seiner Frau, doch Lisa hatte sich mit den Jahren immer weiter von ihm zurückgezogen, nun auch körperlich. Es war ihr unangenehm, ihrem Mann nah zu sein, ihn zu küssen, zu riechen, mit ihm zu schlafen. Sandro merkte, dass es seiner Frau nicht gefiel, wenn er ihr zu nah kam, also zog auch er sich von ihr zurück, um sie nicht zu bedrängen. Er kam sich vor wie ein wildes Tier, wenn er an die Male zurück dachte, an denen er versucht hatte, sie in Stimmung zu bringen. Ein Tier, das seinen Trieben unterworfen nach Befriedigung lechzt, so fühlte er sich dabei. Er schämte sich dafür, seine Frau diesen Trieben ausgesetzt zu haben und unterdrückte sie fortan, bis sie für ihn kaum mehr wahrnehmbar waren.
Doch Lisa sehnte sich nach Nähe und je mehr sie sich von ihrem Mann zurückzog, desto größer wurde der Drang nach Liebe, Zärtlichkeit und Abenteuer. Doch all das war mit ihrem Mann nicht mehr möglich. In den Nächten träumte sie von romantischer Liebe, von Jünglingen mit wallendem Haar, von wilden Orgien, den Küssen einer Frau, von freiem Fall und haltloser Raserei. Doch ihr Alltag war grau und leer und ihre Einsamkeit drohte sie endgültig zu zerfressen.

Die Affäre mit Frederic fühlte sich für Lisa wie ein Gefängnisausbruch an. Sie hatte eines Abends begonnen, als sie beide Überstunden nachholten und sich im Kopierraum näher gekommen waren. Frederic hatte sie schon immer interessiert. Er war Mitte vierzig, nicht hübsch, aber auf eine geheimnisvolle Weise faszinierend, die sie nicht erfassen konnte. Schon seit vielen Jahren herrschte ein entspanntes Verhältnis zwischen ihnen und es kam oft vor, dass Lisa bewusst mit ihm flirtete, oder sich auf einen Flirt seinerseits einließ. Sie hätte sich nie zu träumen gewagt, dass es einmal so weit gehen würde. Als sich ihre Lippen im sterilen Licht der Neonröhren das erste Mal berührten, hätte sie am Liebsten laut losgeschrien vor Erregung. Sie wusste, dass sie etwas Verbotenes tat, doch sie fühlte sich zu gut dabei, als dass sie es an Ort und Stelle hätte bereuen mögen. Ihr Mann war in weite Ferne gerückt, so wie sie selbst, ihr altes, verkümmertes Ich, dass sie kaum mehr wieder erkannte.
Auf den ersten Kuss folgten abendliche Treffen in Restaurants und Bars, die meist in Frederics Wohnung, genau genommen in seinem mit seidenen Laken überzogenen Bett, endeten. Lisa entdeckte ihre Lust und Leidenschaft, die sie seit so langer Zeit in sich selbst vergraben hatte, erneut wieder. Kein Gedanke an Sandro verdarb ihr die Laune, kein schlechtes Gewissen ließ sie hadern. Sandro selbst schöpfte nicht den geringsten Verdacht. Seine Frau ließ ihn im Dunkeln, wo und mit wem sie ihre Abende verbrachte. Er machte sich zwar seine Gedanken, aber er wollte seine Frau nicht mit Fragen und Vorwürfen belasten, denn er sah, dass es ihr gut ging und das freute ihn. Die Abende allein zu Haus verbrachte er weiterhin vor dem flimmernden Fernseher. Ab und an telefonierte er mit seinem Sohn, dem es in seinem neuen Job gut erging. Meist schaute er Dokumentationen über historische Persönlichkeiten oder naturwissenschaftliche Phänomene und sozialkritische, politische Zusammenfassungen, aber auch Filme und Krimis. Oft schlief er im flackernden Licht der Bilder ein, träumte wild von Farben und Formen. Wenn er erwachte, schaltete er schlaftrunken den Fernseher aus und ging dann in das Leere Bett, das ihm ohne seine Frau kalt und hart erschien. Manchmal lag er noch lange wach und dachte an Lisa, wie sie früher war. Er lächelte dann und sein Herz schlug für kurze Zeit schneller. Wenn er dann endlich in Schlaf gesunken war, waren seine Träume leer.

So vergingen viele Monate. Die Affäre zu Frederic wurde zu einer tiefen, vertrauten Beziehung und Lisa erlebte einen unverhofften Frühling des Glücks, mit dem sie nicht mehr gerechnet hatte. Wenn sie, was immer seltener der Fall war, zu Hause bei ihrem Mann schlief, lauschte sie lang seinem tiefen, entspannten Atmen, während sie in den dunklen, sternenbeleuchteten Himmel starrte.
Das Leben ist so kurz und schmerzvoll, dachte sie einmal, die Menschen rauschen wie Fernsehbilder an einem vorüber, Liebe verblasst und erblüht erneut. Wir sind alle nur kleine Kinder, die niemals wirklich erwachsen werden.
Eines Morgens, ihr Mann schlief noch fest, erwachte sie aus wirren Träumen. Ein schmerzlicher Pfeil steckte in ihrer Brust und ein Gefühl der Schuld bemannte sich ihrer. Sie betrachtete Sandro, als wäre er tot, ermordet durch ihre Hand. Dann küsste sie ihn und flüsterte: „Du warst ein guter Mann, ich liebe dich.“
Am Abend desselben Tages, als Frederic in ihr war und sein Gesicht in ihrem Haar vergrub, waren alle dunklen Wolken, die ihre Seele verhangen hatten, fort. Sie schloss die Augen und genoss die Wärme seines Körpers, seine Zügellosigkeit und Hingabe. Und als er kam, sich keuchend neben sie gelegt hatte und in einen leichten Schlummer der Erschöpfung gefallen war, beschloss sie, ihrem Mann die Wahrheit zu sagen.

Wie es oft im Leben ist, fallen zwei außergewöhnliche Ereignisse manchmal auf denselben Augenblick, als hätte sie eine unsichtbare Hand zusammengeführt. Manche nennen es Schicksal, andere wiederum Zufall. Welche Macht ihre Finger im Spiel hatte, als Lisa und Sandro nach vielen Jahren das erste Mal wieder miteinander sprachen, darüber kann nur spekuliert werden. Fakt ist jedoch, dass sich das Gespräch vollkommen anders entwickelt hätte, wäre es nicht genau an jenem Tag im Juni geführt worden, jenem Tag, der für Lisa stets unvergesslich sein würde.
Es war ein Freitag gewesen. Als Lisa in Frederics Bett die Augen aufschlug, registrierte sie als erstes den Regen, der unaufhörlich gegen das Fenster der Dachschräge über ihnen prasselte. Sie betrachtete die Schlieren, die sich wie kleine Bäche einen Weg über das Glas suchten und ihr Herz schlug schneller, als sie an das bevorstehende Gespräch mit ihrem Mann am Abend nachdachte.
„Wir müssen reden“, hatte sie gestern Abend am Telefon zu ihm gesagt. „Es ist wichtig.“
Sie hatten sich für Neun Uhr am Abend verabredet. Lisa wusste genau, wie sie anfangen würde. Sie hatte sich alles genau ausgemalt, wie sie am Küchentisch sitzen würde, wie Sandro sie erwartungsvoll ansehen und sie schließlich mit ruhiger Stimme mit dem Sprechen beginnen würde: „Es tut mir Leid, Sandro, dass ich keine gute Ehefrau mehr für dich sein kann. Aber es gibt da jemanden, den ich sehr gern habe und der mir all das gibt, was du mir nicht mehr geben kannst. Ich war so oft allein in den Jahren mit dir und du hast nie etwas getan, was mir geholfen hätte. Du warst einfach immer nur da und hast nichts gesagt. Du bist wie ein Schatten um mich herum geschlichen, während ich innerlich verwelkte. Ich kann dir keine gute Ehefrau mehr sein. Deshalb verlasse ich dich. Unsere Zeit ist vorüber.“
Dann würde sie aufstehen und ihn umarmen und sich bei ihm für die schöne Zeit und die Familie bedanken, die sie durch ihn geschenkt bekommen hatte; sie würde ihm sagen, dass sie jederzeit für ihn da wäre, wenn er bei irgendetwas ihre Hilfe benötigen sollte, sie würde ihm empfehlen, alles erst einmal sacken zu lassen und sich über die Situation klar zu werden. Sie würde ihm versichern, dass die Scheidung schnell und einfach von Statten gehen würde, dass sie sich um alles kümmern werde und er sich auf sich selbst konzentrieren solle.
Dann würde sie gehen und endlich frei sein. Dann würde sie zu Frederic gehen, ihn küssen und ihm sagen, dass alles vorbei sei.
Doch es kam anders. Sie hatte nur ihre Seite des Mondes beleuchtet.

„Ich habe CMML. Ich werde sterben.“
Mit diesem Satz hatte ihr Gespräch begonnen und es war Sandro gewesen, der ihn ausgesprochen hatte. Lisa war verstört, wie vor den Kopf geschlagen. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich mit in Falten geworfener Stirn zu ihrem Mann an den Küchentisch.
„Augenblick.“, warf sie mit zitternder Stimme ein. „Das ist nicht das, worüber ich mit dir sprechen wollte, Sandro.“
„Ich war heute bei der dritten Untersuchung. Sie wissen es mit nun mit Gewissheit.“
Lisa schwieg, versuchte, einen Ast zu ergreifen, während die Strömung sie immer stärker ins Ungewisse zerrte.
„Was redest du da?“ fragte sie, jetzt mit festerer Stimme, in die sich etwas Zorn gemischt hatte. „Ich verstehe kein Wort.“
„Chronische myelomonozytäre Leukämie. Das bedeutet CMML. Die Ärzte sagen, dass diese Form des Blutkrebses in der Regel bei älteren Menschen ab fünfundfünfzig eintritt. Ich sei ein Sonderfall, sagten sie.“
„Blutkrebs?“ murmelte Lisa, nun sichtlich geschockt. Das konnte doch alles nicht wahr sein, dachte sie. Wie konnte er ihr das jetzt antun? Gerade jetzt? Warum gerade jetzt?
„Ja. Bei richtiger Behandlung kann ich aber noch gut vier bis fünf Jahre leben, sagen sie. In meinem Alter sei die Gefahr nicht so groß, dass ich die Behandlung nicht verkrafte. Es gibt da eine gute Klinik, die sich auf Knochenmarks- und Bluterkrankungen spezialisiert hat. Ich habe auf 3sat mal eine Dokumentation darüber gesehen. Ist wirklich toll dort, man wird da fabelhaft behandelt und die meisten Patienten leben noch viele Jahre länger, als es ihre Prognosen vorhergesehen haben. So wie ich das verstanden habe, ist CMML bei guter Behandlung eigentlich eine harmlose Variante der Leukämie. Alles in allem hätte es mich schlimmer treffen können.“
Lisa sammelte sich. Das Karussell in ihrem Kopf drehte sich so schnell im Kreis, dass sie die einzelnen Fahrzeuge nicht mehr erkennen konnte. Es war ein rauschender Kreisel aus farbigen Blitzen, die sich durch ihren Körper schnitten und ihr Herz in Flammen aufgehen ließen.
„Es tut mir so leid, dass ich dir erst jetzt von meiner Krankheit erzähle. Ich wollte dich nicht belasten, vor allem, weil die Testergebnisse ja noch ausstanden und ich nicht mit Gewissheit sagen konnte, ob es was Ernstes ist.“
Sandro griff nach Lisas Hand, doch sie entzog sie ihm. In ihren Augen sammelten sich Tränen.
„Du kamst mir so glücklich vor in den letzten Monaten, Lisa.“ Sandro lächelte unsicher. „Ich wollte dich nicht verstören. Es tut mir leid, dass das alles jetzt so plötzlich gekommen ist.“
„Ach, Sandro…“ Lisa spürte, dass sie die Situation nicht mehr lange ertragen konnte. Tränen liefen ihr durchs Gesicht. Ihre Stimme zitterte. Sandro reichte ihr ein Taschentuch.
„Wir schaffen das schon.“, fuhr er fort. „Du wirst sehen, alles ist halb so wild.“
Lisa schüttelte den Kopf. Für einen Moment erschien ihr die Möglichkeit, einfach aufzustehen und wegzurennen als eine vernünftige Entscheidung, doch sie blieb, wo sie war. Sie atmete tief ein und wieder aus. Dann blickte sie ihrem Mann tief in die Augen. Sie wusste, dass es vorbei war, vorbei sein musste. Sie wusste, dass es nur eine Lösung gab. Das Leben, das Schicksal, der Zufall hatte ein Spiel mit ihr gespielt und sie hatte verloren. Das Karussell wurde langsamer, immer langsamer, bis es schließlich still stand und die bunten Lichter erloschen, alle Farben verblassten und endlich Ruhe herrschte. Frieden.
Sie lächelte.
„So viel zu mir.“, schloss Sandro und erwiderte ihr Lächeln. „Aber was wolltest du mir denn eigentlich sagen? Du klangst so traurig am Telefon.“
Jetzt war es Lisa, die Sandros Hand ergriff. Ihre Augen glänzten vor Tränen, doch das Lächeln leuchtete noch immer aus ihrem Gesicht.
Sie wusste, dass es nur diese eine Lösung gab.
Das Leben ist so kurz und schmerzvoll, die Menschen rauschen wie Fernsehbilder an einem vorüber, Liebe verblasst und erblüht erneut. Wir sind alle nur kleine Kinder, die niemals wirklich erwachsen werden.
„Ich liebe dich.“, sagte sie und ihr Herz wurde leicht. „Ich liebe dich und ich will bei dir sein, egal wohin du gehst.“