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Freitag, 14. Juni 2013

Für wen würdest du sterben?

Das kostbarste Gut, das ein Lebenwesen besitzen kann, ist das Leben selbst, die Existenz, das Atmen-, Fressen-, Scheißen-Können. Wer braucht schon Bewusstsein, Geld und soziales Ansehen, wenn das Herz kein Blut mehr durch die Venen pumpt, das Hirn den Atemreflex abstellt und der Schließmuskel den Damm für Dauerdurchzug freigibt?
Die Menschen hängen an ihr, an der Existenz, mehr als am ganzen Rest, den verdienten und unverdienten materiellen Freuden der Gesellschaft. Auf alles kann zur Not verzichtet werden, doch nicht auf das Sein, die Teilhabe an der Welt des Existierenden. Für nichts in der Welt würden wir unser Leben aufgeben, denn was hätten wir dann noch davon? Durch die Aufgabe des eigenen Seins erzielen wir keinen Profit, erreichen keine Verbesserung der Lebensumstände, keinen Reichtum, kein Ansehen, kein Glück, keine Liebe. Das Leben ist sinnlos, wenn es nicht mehr gelebt werden kann. Doch genau dieses Schicksal erwartet uns alle am Ende unserer Tage. Der Tod, die Sinnlosigkeit, die Absurdität, vor der wir unser ganzes Leben lang fliehen. Zum Schluss gewinnt sie die Oberhand über unsere Träume, unsere Ziele, unseren ach so geliebten, hart erarbeiteten Charakter. Dann, wenn die Sense den Lebensfaden durchtrennt, herrscht wieder Leere. Anti-Existenz. Und all das Leben, das uns stets so reich und wertvoll erschien, ist nicht mehr als bloße Erinnerung.
"Für wen würdest du sterben?", fragte mich das rothaarige Mädchen mit den Sommersprossen, als wir auf der große Wiese saßen, damals im Sommer, und Tequila tranken, mit Zitrone und Salz.
"Was für eine sinnlose Frage.", hatte ich geantwortet. "Für niemanden, außer für mich selbst."
"Für dich selbst gilt nicht." Ihr Lächeln war so rein wie der Schnaps, doch es war weit davon entfernt, ebenso ehrlich und unbarmherzig zu sein.
"Was willst du denn hören?" Wie immer war ich gereizt, wenn sie mit solchen Themen anfing. "Das ich für meine Freunde sterben würde? Für meine Familie? Für dich?"
"Zum Beispiel." Sie goss erneut die Gläser voll. Immer noch lächelte sie, doch ihre dunklen, grünen Augen blitzten vor Erwartung.
"Was würde sich ändern, wenn ich es sage?" Sie war so schön, dachte ich. Und meine Worte so hässlich. Aus meinem Mund kam schon lange keine Hoffnung mehr. Die Realität ließ keine Träume zu. "Niemand stirbt für irgendjemanden. Der Tod ist immer sinnlos. Das Leben durch ihn sowieso. Warum sich Gedanken darüber machen?"
"Du tust so, als bedeute dir das alles nichts. Als sei alles absurd und die Welt ein großes Chaos aus sinnlosen Zufällen. Aber du liebst das Leben, deine Freunde, deine Familie. Du liebst auch mich, auch wenn du keine Ahnung hast, wer ich bin, wie ich bin. Du liebst meine Hülle, meine Augen, meine Titten, all das, ohne es zu wissen. Und du traust dich nicht, es zuzugeben."
"Du lügst mal wieder." Jetzt hatte sie es geschafft. Ich lächelte. "Ich hasse dich."
"Aber meine Titten nicht, hm?" Ich betrachtete ihre Titten. Nein, es war unmöglich, dieses Kunstwerk menschlicher Anatomie zu hassen.
"Nein, deine Titten liebe ich tatsächlich."
"Für meine Titten würdest du also sterben?"
Ich nickte, vielmehr, weil ich hoffte, dass damit das Thema erledigt sei. Wir stießen an und tranken unsere Gläser leer. Der Biss in die Zitrone war erregend, beinahe schmerzhaft.
"Hör auf, über den Tod nachzudenken." sagte ich nach einer Weile des Schweigens. "Er bleibt sinnlos, egal von welcher Seite du ihn betrachtest."
"Vielleicht hast du Recht." Ihre Lippen schimmerten im goldenen Licht der untergehenden Sonne. "Vielleicht bist du aber auch nur ein ignoranter Idiot."
"Vielleicht...", antwortete ich, dann küsste ich sie und mir wurde wieder einmal aufs Neue bewusst, wie haltlos und nichtssagend Worte doch sind.

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